Das große Begehren des kleinen Pierre

Der besessene Porträtist des Immergleichen: eine umfangreiche Schau zum Werk des Malers, Schriftstellers und Übersetzers Pierre Klossowski in Köln

Männer und Dämonen ringen mit der Macht des Weiblichen. So etwas wie Gleichberechtigung existiert in dieser Welt des absoluten Begehrens nicht

VON MAGDALENA KROENER

Roberte, Roberte … überall taucht diese Frau im Werk Pierre Klossowskis auf: in gezeichneten Fantasien, als lebensgroße, streng konturierte Über-Frau, als Diana, die es mühe- los mit Actaion aufzunehmen vermag, in dokumentarischen Fotos, in einem Spielfilm und einigen Porträtminiaturen.

Roberte war die Ehefrau Pierre Klossowskis, dessen zeichnerisches und skulpturales Werk jetzt erstmals in Europa ausgestellt wird, und es gibt ein schönes Foto, das einiges über diese besondere Beziehung der beiden zueinander auszusagen scheint. Denise Marie Roberte Morin-Sinclaire, im Foto weit weniger streng als in der erotisch durchsetzten Stilisierung durch den Gatten, schaut auf Klossowski hinunter, der sich in ihrem Blick, obwohl er sie selbst nicht ansieht, geborgen zu wissen scheint.

Ob dieses Foto nun Pose, Fantasie oder tatsächlich Alltag ist, bleibt ungeklärt, deutlich wird jedoch, dass das Werk dieses besessenen Porträtisten des Immergleichen mit seinen vielfältigen Gesichtern, der zeitlebens im Schatten seines Bruders Balthus stand, ein wenig von allem in sich einfasst. Diese Beziehung bildete die Folie für ein mit Besessenheit vorangetriebenes künstlerisches Werk, aber ebenso inspirierte sie andere Künstler – so entstand aus dem erotischen Fantasma „Roberte“ auch ein Film von Pierre Zucca, den es im Kölner Museum Ludwig, wo nun eine umfangreiche Schau zum Werk des Malers, Schriftstellers und Übersetzers Pierre Klossowski angelaufen ist, leider nicht zu sehen gibt.

Pierre Klossowski selbst hat sich einmal als „reinen und simplen Besessenen“ bezeichnet, doch greift sein Werk weit über etwas hinaus, was schlicht als private Obsession bezeichnet werden könnte. Der 2001 mit 96 Jahren gestorbene Klossowski war von Jugend an eng verbunden mit intellektuellen und künstlerischen Größen der jeweiligen Zeit – zählten zunächst André Gide und Rilke zu den Mentoren des jungen Pierre, so stand dieser später in engem Kontakt zum surrealistischen Zirkel, zu dem er sich selbst jedoch bewusst nicht zählte. Er stand in Kontakt mit Walter Benjamin, den er, ebenso wie Kierkegaard und Kafka, übersetzte, besuchte mit Lacan, Merleau-Ponty und Breton die Hegel-Seminare an der École de hautes études in Paris. Später pflegt er Kontakt mit Foucault und Deleuze, deren Arbeit wiederum durch ihn geprägt wurde. Eine besonders große Nähe verband Klossowski mit Georges Bataille, der ebenfalls eine selbst gewählte Außenseiterposition in seinem Verhältnis zu den Surrealisten pflegte. Beide entwickelten zunächst in ihrer Literatur grundlegende Betrachtungen des Erotischen und Obszönen.

Während Pierre Klossowski in der eigenen, 1954 erschienenen Romantrilogie „Die Gesetze der Gastfreundschaft“ die Erotik mit mythischen Gehalten verknüpft, wagte sich Georges Bataille bereits in seinen frühen Erzählungen „Die Geschichte des Auges“ (1928) oder „Madame Edwarda“ (1941) explizit an das Obszöne.

Von großem Einfluss auf Klossowski war die 1957 erschienene Schrift „L’erotisme“ – Georges Batailles Versuch einer existenzphilosophischen Beschreibung der Erotik, die sich nicht zuletzt durch eine stark theologische Komponente auszeichnet. Zugleich scheint es, als bräche sich in den Fünfzigerjahren in Klossowskis bildkünstlerischem Werk eine Dominanz des Erotischen ihren Weg, die in den Dekaden zuvor durch die Symbolisten und die Surrealisten vorbereitet wurde.

Hysterie, Fetischismus, Pornografie und Voyeurismus fanden Eingang in die literarische und künstlerische Produktion, in deren Zentrum die Frau als obskures Objekt der Begierde stehen sollte. Aragon und Breton bejubelten in der „Revolution Surréaliste“ Charcots Pariser Hysteriestudien als „größte poetische Entdeckung“; Salvador Dalí ließ sich davon zu seiner Arbeit „Hysterischer und aerodynamischer weiblicher Akt“ inspirieren. Das Bedrohliche des Eros in Person der unvermittelt ins Bild starrenden Frau findet 1929 im berühmten Film „Un Chien Andalou“ von Buñuel und Dalí eine ebenso gewaltsame wie hochsymbolische Bestrafung: Ihr Auge wird durchschnitten, sie von der Teilhabe am Symbolischen ausgeschlossen. Die Surrealisten inszenierten Frauen aber auch als Mannequins, während Hans Bellmer mit seinen Puppen den fragmentarisierten Körper und den fetischisierten Eros ins Bild setzte. Pierre Klossowskis Werk ist auch in seiner Singularität von diesen Strömungen stark geprägt.

Dabei scheint sich der flüchtige, wie verwaschen wirkende Strich seiner lebensgroßen Zeichnungen den komplexen erotischen Ränken zwischen Begehren, Ekstase und Gewalt regelrecht entziehen zu wollen. Die Naivität des Gestus läuft ebenso den enthaltenen vielschichtigen mythologischen und allegorischen Bezügen zuwider, die die dargestellten Szenen durchziehen. Ganz anders hingegen die erst in den Neunzigerjahren in Zusammenarbeit mit dem Bildhauer Jean-Paul Réti entstandenen Skulpturen. Sie greifen zeichnerische Vorlagen auf und wandeln sie in Schaubilder von fast einschüchternder physischer Präsenz. Insbesondere die skulpturale Umsetzung der „Entführung Robertes“ scheint den Betrachter geradewegs in den kindlichen Blickwinkel des kleinen Pierre zu zwingen.

Bei Klossowski ringen Männer und Dämonen mit der Macht des Weiblichen. Mal erscheinen sie als Schuljungs, fasziniert vom Blick auf die immergleiche Frauengestalt mit den fast männlichen Gesichtszügen und dem matronenhaften Kostüm. So etwas wie demokratisch ausgehandelte Gleichberechtigung existiert in dieser Welt des absoluten Begehrens nicht – die Frau wird ver- und entführt, bestaunt beim Koitus durchs offene Fenster. Immer wieder gibt es gerade in den mythologisch inspirierten Szenen Andeutungen sexueller Überwältigung, in der jedoch die Frau stets die Handlungsmacht besitzt.

Dass dieses Verlangen ebenso wie seine Erfüllung von höchst ambivalenter Qualität ist, beschrieb Georges Bataille bereits in seiner Erzählung „Madame Edwarda“, in der er auf das dialektische Verhältnis von Angst und Lust, von Verbot und Überschreitung hinweist: „Es gibt einen Bereich, in dem der Tod nicht bloß das bloße Verschwinden bedeutet, sondern jenen unerträglichen Aufruhr, in dem wir gegen unseren Willen verschwinden, während wir um jeden Preis nicht verschwinden sollten. Gerade dieses um jeden Preis, dieses gegen unseren Willen zeichnet den Augenblick der äußersten Lust und der nicht benennbaren, aber wunderbaren Ekstase aus. Wenn es nichts gäbe, das uns überschreitet, das um keinen Preis eintreten dürfte, erreichten wir nie den Augenblick, in dem wir von Sinnen sind, den wir mit allen unseren Kräften anstreben und gegen den wir uns zugleich mit allen Kräften wehren.“

Erstaunlich ist die Dichte der erotischen Bezüge, die Klossowski, eingewebt in ein seinem Werk selbstverständliches Netz aus Philosophie, Mythologie und Theologie, in fast schon schlicht anmutendem Strich ins Bild bannt. Trotz seiner thematischen und formalen Beschränktheit verweist ein Oeuvre wie dieses in seiner Komplexität und seiner erotischen Dichte vieles in die Schranken, was gegenwärtig in der Kunst, aber auch in Pop und Pornografie unter dem Etikett „Erotik“ produziert wird. Bei Klossowski wird das Erotische zur Geisteshaltung, die der Freiheit, der Fantasie und des Mutes bedarf – auch des Mutes zu einer fast schon naiv anmutenden Schlichtheit, die gleichwohl ihr höchstes Prädikat ist. Spannend dürfte nun auch der bald mögliche Vergleich dieses in der Darstellung des Begehrens so in sich geschlossenen, stringenten Werkes mit dem des Bruders Balthus sein, dem das Museum Ludwig im Sommer dieses Jahres eine erste deutsche Überblicksausstellung widmet.

Bis 18. März. Katalog (Hatje Cantz) 39,80 €. www.museum-ludwig.de