„Wer hat, dem wird gegeben“

Erbschaften stabilisieren die großen Vermögensunterschiede, hat der Soziologe Jürgen Schupp in einer Studie ermittelt. Nur 4 Prozent der Erben erhalten über 250.000 Euro

taz: Herr Schupp, Sie haben eine der wenigen Studien erstellt, die untersucht haben, wer in Deutschland wie viel erbt. Was kam heraus?

Jürgen Schupp: Es gilt das Matthäus-Prinzip aus der Bibel: Wer hat, dem wird gegeben. Von den Erbschaften profitieren vor allem Personen, die schon Vermögen besitzen und über eine gute Bildung sowie ein hohes Einkommen verfügen.

Sorgen die Erbschaften also dafür, dass sich die soziale Ungleichheit in Deutschland noch verschärft?

Diese Frage sollten wir für die Bundesregierung untersuchen. Unser Ergebnis: Die Erbschaften vergrößern die Vermögensunterschiede zwischen den Schichten nicht – sondern stabilisieren sie. Natürlich gibt es viele Reiche, die durch ihre Erbschaften noch reicher werden. Aber das wird statistisch ausgeglichen durch den klassischen Fall von Omas Häuschen, das ein Enkel erbt, der bis dahin überhaupt kein Vermögen hatte.

Oma als Lebensversicherung für den Enkel – ist das tatsächlich ein Massenphänomen?

Nein, die meisten Nachlässe sind sehr bescheiden. 25 Prozent aller Erben erhalten weniger als 10.000 Euro. Umgekehrt bekommen nur 4 Prozent aller Erben mehr als 250.000 Euro.

Eine extreme Streuung …

… aber sie spiegelt nur die aktuellen Vermögensverhältnisse. Das oberste Zehntel der Bundesbürger besitzt inzwischen fast 47 Prozent des gesamten Privatvermögens, während sich die untere Hälfte mit nur knapp 4 Prozent begnügen muss.

Wenn nun das Verfassungsgericht verlangt, dass Immobilien zum Verkehrswert bewertet werden – wer ist betroffen?

Jedenfalls sind es nicht „Millionen Menschen“, wie gern behauptet wird. Das ist völliger Unsinn. Die letzten genauen Zahlen stammen von 2002: Damals haben überhaupt nur 122.000 Personen Erbschaftsteuern gezahlt. Knapp 500.000 Erben lagen unter den Freigrenzen. Nur die Erben von hohen Vermögen sind überhaupt betroffen. Und das wird auch so bleiben. Es ist erstaunlich, dass die Steuerpflichten einer so kleinen Gruppe eine so breite Diskussion auslösen können.

Aber zahlen die Vermögenden wirklich? Man kann doch Erbschaftssteuern vermeiden – etwa durch Schenkungen zu Lebzeiten.

Unsere Daten sind leider unvollständig. Die Untersuchung zum Thema Schenkungen läuft noch.

Gibt es noch andere statistische Lücken?

Wir würden uns wünschen, dass es ein Erhebungsverfahren wie in der Schweiz gibt. Dort werden die Nachlässe erfasst – und nicht die Erbschaften, die dann einzelne Nachkommen erhalten. Das Schweizer Modell ist viel genauer, weil damit auch auffällt, wie viel Geld an Stiftungen und an Kirchen fließt. Gerade Stiftungen können genutzt werden, um Betriebsübergaben steuerfrei zu gestalten.

Glauben Sie, dass eine Nachlass-Statistik kommt?

Erbschaftsteuer ist in Deutschland Ländersache. Das macht es schwierig. Es gibt noch nicht einmal ein bundesweites Stiftungsregister.

INTERVIEW: ULRIKE HERRMANN