Funkstille

Die deutschen Leitmedien unterdrücken Informationen über Gesundheitsgefahren durch Mobilfunk – offenbar aus Rücksicht auf zahlungskräftige Werbekunden

VON UWE KRÜGER

Seitdem das Netz der UMTS-Funkmasten in Deutschland rasant ausgebaut wird, kämpfen zahllose Bürgerinitiativen gegen Sender in der Nachbarschaft. Grund ist eine mögliche, unsichtbare Gesundheitsgefahr, die von ihnen ausgeht: Mobilfunkstrahlung. Im Internet wimmelt es von Kritiker-Webseiten wie „Informationszentrum gegen Mobilfunk“, „Bürgerwelle“ oder „Elektrosmog-News“ – alles Spinner, so die landläufige Meinung.

Merkwürdig erscheint jedoch, dass Ärzte, gemeinhin Vernunftmenschen, Initiativen gründen wie den „Freiburger Appell“ oder den „Bamberger Appell“ und Brandbriefe an Gesundheitsämter und Behörden schreiben, weil bei Patienten gehäuft Krankheiten auftreten, von Kopfschmerzen bis zum Brustkrebs. Die Bamberger Ärztin Dr. Cornelia Waldmann-Selsam hat in zwei Jahren mehr als 1.000 Fälle dokumentiert, die offenbar in Zusammenhang mit Funkmasten stehen. Die Standardantwort der Behörden auf die Bemühungen der Kritiker lautet: Die gesetzlich vorgeschriebenen Grenzwerte seien eingehalten, somit bestünde keine Gefahr – dabei sind die Grenzwerte äußerst dubios (s. Kasten).

Dubiose Grenzwerte

Am seltsamsten ist jedoch, dass dieses Problem, das so viele Menschen beschäftigt, in den deutschen Medien kaum Widerhall findet. Mehr noch: Es gibt in den Redaktionen immer wieder Fälle interner Zensur, beispielsweise den des Filmemachers Klaus Scheidsteger, der für seinen Dokumentarfilm „Der Handykrieg“ zwei Jahre lang in den USA recherchiert hat. Sein Protagonist, der Washingtoner Epidemiologe Dr. George Carlo, ist einer der ärgsten Feinde der Mobilfunkindustrie, seitdem er in den 90er-Jahren in deren Auftrag die Ungefährlichkeit der Strahlung beweisen sollte. 28,5 Millionen Dollar bekam er für die aufwändige Studie. Doch den Geldgebern gefielen die Ergebnisse nicht: Schädigung der DNA und Hirntumore bei Vieltelefonierern. Als Carlo das öffentlich machte, fiel er in Ungnade, wurde verleumdet, sein Haus brannte unter mysteriösen Umständen nieder.

Filmemacher Scheidsteger konnte den MDR zur Mitfinanzierung der Doku bewegen. Im Dezember 2005 gab er eine 45-Minuten-Fassung ab. Der MDR überwies das Geld, ließ den Film aber in der Schublade verstauben. Nach einem Jahr fand er sich dann doch im Programm: Um 10.35 Uhr morgens lief im Dezember 2006 eine um 15 Minuten gekürzte Version; noch dazu so kurzfristig anberaumt, dass die Programmzeitschriften nicht darauf hinweisen konnten. Scheidsteger war aufgebracht: Die Änderungen seien nicht mit ihm abgestimmt gewesen, das heiße Thema solle offenbar „unter dem Radar“ laufen.

Beim MDR gibt man andere Gründe an: mangelnde Qualität. „Der Film entsprach handwerklich und inhaltlich nicht den Standards des MDR“, sagt Claudia Schreiner, Programmchefin Kultur und Wissenschaft. Im Vertrag mit Scheidsteger sei deshalb ausdrücklich die Bearbeitung und Kürzung eingeschlossen gewesen. „Außerdem fehlte der Deutschland-Bezug“, führt Schreiner aus, „was schade ist, denn es ist ja ein Thema, das auch hierzulande Bedeutung hat.“ Was die Qualität angeht, so hat der MDR offenbar deutlich strengere Maßstäbe als Frankreichs größter öffentlich-rechtlicher Sender France 2. Der hatte den Film im Mai 2006 komplett im Abendprogramm ausgestrahlt.

Das Thema wird also nicht gänzlich verschwiegen, findet aber nur am Rande statt – etwa als Lokalbericht über einzelne Bürgerinitiativen. An Hintergrundstücke allerdings mangelt es. Eine Ausnahme war die ambitionierte 45-minütige ARD-Doku „Bei Anruf Smog“, gesendet im August 2003. Sie erschien den Programmverantwortlichen dann aber doch weniger wichtig und wurde kurzfristig verschoben: von einem 21.45-Uhr-Platz auf den deutlich schlechteren 23-Uhr-Platz am Folgetag. In den Internet-Foren wurde daraufhin viel spekuliert: Reicht der lange Arm der Industrie bis in die Schaltkonferenz der ARD-Chefredakteure?

Anhaltspunkte dafür gibt es. So fand zum Beispiel im Oktober 2002 eine merkwürdige Informationsveranstaltung für Redakteure des Bayrischen Rundfunks statt. Zu ihr hatte der Technische Direktor des BR, Herbert Tillmann, geladen. Gleich in seiner Begrüßungsrede wies er auf den „schmaler werdenden Geldbeutel“ hin und verkündete, „dass der Bayerische Rundfunk den Mobilfunkbetreibern die Mitbenutzung seiner Senderstandorte gestattet“. Etwa 4 Millionen Euro nimmt der BR auf diese Weise jährlich ein; dieses Nebengeschäft ist auch bei den anderen ARD-Anstalten üblich.

Auf der vierstündigen Veranstaltung bekamen die Redakteure ausschließlich den Standpunkt der Netzbetreiber zu hören. Die Schädlichkeit der Strahlung sei nicht bewiesen, mithin handele es sich nur um ein „Kommunikationsproblem“. Die Redakteure – so die Einschätzung einer Teilnehmerin – reagierten ob der Einseitigkeit der Information sichtlich genervt. Mehr und mehr beschlich sie das Gefühl, dass sie „auf Linie“ gebracht werden sollten.

Aufschlussreich ist, was der einladende Herbert Tillmann neben seiner Aufgabe als Technischer Direktor des BR so tut. Er ist Vorsitzender der Produktions- und Technikkommission von ARD und ZDF und treibt die Entwicklung des öffentlich-rechtlichen Handy-TV voran. Darüber hinaus sitzt er im Vorstand der Forschungsgemeinschaft Funk (FGF), eines eingetragenen Vereins, der Forschung zur „Wirkung elektromagnetischer Felder“ finanziert – mit Geld der Mobilfunkindustrie. Tillmanns Vorstandskollegen in der FGF arbeiten hauptberuflich bei Motorola, Bosch, Nokia, Vodafone, T-Mobile, E-Plus und im Bundeswirtschaftsministerium.

Nicht unerheblich für alle Medien dürfte die Marktmacht der Mobilfunkindustrie und das Anzeigenvolumen sein, das sie zu verteilen hat. Zwischen 582 und 820 Millionen Euro gab die Telekommunikationsbranche laut Nielsen in jedem der letzten fünf Jahre aus. Die Netzbetreiber T-Mobile, Vodafone, O2 und E-Plus finden sich alle in den Top 50 der größten werbenden Firmen.

Mit zusammengerechnet 26 Zeitungsseiten Anzeigen von Firmen wie Telekom, Nokia, Siemens und E-Plus war die Süddeutsche Zeitung im März 2001 gesegnet, als Lokalredakteur Thomas Grasberger über kopfschmerzgeplagte Nachbarn von Funkmasten in München und kritische Ärzte schrieb. Als er seinen Artikel „Hilferuf aus dem Antennenwald“ (27. 3. 2001) in der Zeitung sah, war er schockiert: Der Beitrag war drastisch gekürzt, Sätze waren umgeschrieben worden und neue eingefügt, die die Glaubwürdigkeit eines Gutachters in Zweifel zogen. Das Wissenschaftsressort hatte dazwischengefunkt – „ohne vorher mit mir zu reden“, so Grasberger.

Er kündigte – machte aber weiter. Zusammen mit Franz Kotteder, in der SZ-Redaktion für Münchner Kultur zuständig, recherchierte er das Thema aus und schrieb das Buch „Mobilfunk – Ein Freilandversuch am Menschen“ (Kunstmann Verlag, München 2003). Darin wird der Stand der Forschung aufbereitet, über Verquickungen von Industrie, Politik und Wissenschaft berichtet und erzählt, wie Studien manipuliert wurden und Wissenschaftler Publikationsverbot über unliebsame Ergebnisse erhielten.

Freilandversuche am Menschen

Diese Erkenntnisse waren in der Süddeutschen nicht gefragt. Stattdessen wurden Artikel von anderen SZ-Redakteuren veröffentlicht, die Mobilfunkgeschädigte als modernefeindliche Ideologiekritiker mit eingebildetem Leiden hinstellten („Strahlung als Metapher“ vom 5. 3. 2004, „Irre Energie“ vom 21./22. 1. 2006).

Auch das ehemalige „Sturmgeschütz der Demokratie“, der Spiegel, schützt eher die Interessen der Mobilfunkkonzerne als die der bestrahlten Bevölkerung. Immer mal wieder bringt er beruhigende Storys zu dem Thema – eine beunruhigende wurde in letzter Minute gekippt. Mobilfunkkritiker berichten, ein Spiegel-Mann habe Anfang 2001 für eine geplante Titelgeschichte bei ihnen recherchiert. Er ließ sogar bei der „Bürgerwelle“, einem Dachverband von Bürgerinitiativen, zwei Fotografen Bilder machen, wie der Vorsitzende der „Bürgerwelle“ erzählt.

Spiegel-Wirtschaftsredakteur Klaus-Peter Kerbusk bestätigt die Recherche, die ihn sechs Wochen gekostet und bis nach Schweden geführt hat. Veröffentlicht hat er am Ende nichts. Warum? „Es gab in der Redaktion“, sagt Kerbusk, „sehr unterschiedliche Auffassungen über die möglichen Risiken und Gefahren durch die Handystrahlung.“

Dieser Beitrag ist die gekürzte Fassung eines Artikels aus Message – Internationale Zeitschrift für Journalismus, Heft 1/2007Im Internet: www.message-online.com