agentur 2.0 von GERALD FRICKE
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Ottmar ist Texter in einer Internet-Agentur – Seniortexter, um genau zu sein. So viel Zeit muss sein! Er liest Motoraver und die lokale Treppenhaus-Umsonstzeitung. 2001 trug er die Tunnelzughose von 2000, 2005 den Iro von Robbie Williams aus dem Jahre 2002, und 2007 trägt er die Hemden von Fred Perry, die 2003 „in“ waren. In seiner Linkliste finden wir einige „derbe“ Youngtimer, supergute Schnäppchenangebote und die Speisekarte vom „City-Casino“ an der Großen Theaterstraße, das leider auch schon die letzte Fettwanne für immer leeren musste.

Ottmars Texte und Überschriften verraten immer ihre holde Blütenzeit. „So bunt der Frühling“ wechselt von „Sommerzeit – Reisezeit“ zu „Tassenzauber im Herbst“, um schließlich mit „Winterzeit – Reisezeit“ den Reigen konzise zu beschließen. In seinem Ordner „Große Hafenrundfahrt“ sammelt er lustige Bilder: Frauenautos, die falsch einparken; derangierte Currywürste; mit Gemüse dekorierte Betrunkene; Zombies auf Motorrädern und anderes „krasses“ Zeugs.

Immerhin hat Ottmar auch schon die Worte „Erfolg macht sexy“ oder „Kristallwelten“ auf ihren Weg von den Bildschirmen zu den Menschen gebracht. Wenn Status Quo für „Mit zwei Akkorden in die Hitparade“ kommen, dann hat Ottmar genau zwei gute Ideen, die er geschickt zu kombinieren weiß. Sie heißen „Der Weg ist das Ziel“ und „Rom wurde auch nicht an einem Tag erfunden“. Und jetzt erst mal eine „roochen“. Dann lassen sich Rasierpinsel, Bolzenschneider oder die Marktwirtschaft wieder atemfrisch präsentieren und pfiffige Wortspiele für Dreijährige drehen.

Aber Obacht! Mit dem guten alten gemütlichen Internet ist es jetzt vorbei. Ein neuer strammer Wind weht durch die Agentur und pfeift sein garstig Lied. Der Chef sagt: „So, jetzt machen wir auch Web 2.0, mit Blogs und Pipapo. Die Kunden brauchen das. Und du schreibst jeden Tag 100 konstruktive Nutzerkommentare. Und den Sülz für den Chef. Großer verkannter Denker, führt sein mittelständisches Unternehmen, wird gesandwicht von oben und unten. ‚Große Konzerne böse, Politik versagt‘ – so die Nummer, verstehste?“ Ottmar versteht: „Bei uns gibt’s noch Service aus einer Hand. Nachdenklich, seriös, aber auch mit einer Prise Humor?“ – „Ja“, fasst der Chef das Briefing zusammen, „so Flotte-Feder-Style, weißt schon?“ – „Yes o’clock!“.

Ottmar haut in die Tasten. Überschrift: „Made in Germany – quo vadis?“ Los geht’s: „Gerade fällt mir eine lustige Begebenheit ein. Mein Marketingleiter sagt zu mir: Gehen wir heute zum Griechen oder Italiener? Ich denke mir: Warum sagt man eigentlich nicht ,Gehen wir zum Deutschen‘? Immerhin kommen unsere international geachteten Fräsmaschinen ja auch aus römpel di pömpel blubber blubber?“ Nächster Blog-Eintrag: „Geht es Ihnen auch so: Nicht nur die Fernsehbildschirme werden immer flacher, auch die Programme ramenter laber laber? Gute Qualität darf eben nicht blablabla …?“ Ottmar hat jetzt den Bogen raus. Bastian Sick meets Oliver Kalkofe, that’s it.

Ein weiterer Meilenstein zu seinem epochalen Lexikon über „Agentursprache 2.0“ ist damit auch … – äh, geworfen.