In Flodderland sterben die Tiere

Elf Ziegen und ein Pony – das war der Streichelzoo an der Autobahn. Dann verendeten die Tiere. Gift im Boden, vermuten die Betreiber, die auch sonst nichts Gutes erwarten vom Rest der Gesellschaft

von DOMINIK SCHOTTNER

Marcel Fetting und Steffen Nevermann sind Menschen, die keiner kennt. Die keiner kennen will. Sie haben nicht die Gesichter der Unterschicht, die auf RTL 2 ausgestellt werden und die man deswegen zu kennen glaubt. Sie stammen auch nicht aus der sogenannten Mitte der Gesellschaft, wo der Puls des Landes bis vor kurzem noch verortet wurde. Fetting und Nevermann gehören nicht zu dieser Gesellschaft. Sie leben jenseits ihres Rands. Hinter den letzten Häusern der Stadt, unweit des Autobahndreiecks Pankow, kurz vor der Brandenburger Landesgrenze, auf einem Gelände, wo zu DDR-Zeiten Munition hergestellt wurde. In ihrem Garten grasen eine Ziege und ein Lama. Im betonierten Vorgarten ruhen zwei ausgeschlachtete Fiat Panda, die Männer schlafen im Bauwagen daneben. „Ich habe mich von dieser Gesellschaft verabschiedet“, sagt Nevermann beim Rundgang über das Grundstück. Er klingt nicht resigniert. Er ist 38 und Frührentner: „Rücken im Arsch.“

Vor sechs Jahren haben sich Fetting und Nevermann in Berlin kennengelernt, über einen gemeinsamen Freund. Fetting war damals 18 Jahre alt und gerade erst von Schwedt an der Oder in die Großstadt gezogen, eine abgebrochene Lehre zum Industriemechaniker im Gepäck: „Ich wollte doch was aus meinem Leben machen.“ Also schlug er ein, als Nevermann ihm anbot, „gemeinsam was aufzuziehen“. Und weil Fetting „schon immer tierlieb“ war, gründeten die beiden einen Streichelzoo. Sie nannten ihn „Flodderland“, nach einer holländischen Fernsehserie über eine Familie, die noch nicht mal die Kriterien für eine RTL 2-Reportage erfüllen würde. In den USA schimpft man solche Menschen white trash, weiß wie die Hautfarbe, Müll wie Abfall. Gesellschaftlicher Abfall.

Ziegen mit blinkenden Weihnachtsmannmützen

Marcel Fetting wurde der Chef von Flodderland. Nevermann war halt irgendwie dabei. Fetting, der Schausteller, Nevermann sein Zurschausteller. In Blankenfelde, nicht weit von dem Stück Land, wo sie heute wohnen, trugen ihre elf Ziegen zu Weihnachten rot blinkende Weihnachtsmannmützen auf dem Kopf, wie ein paar Spasemacken am Ballermann. „Das war irre! Wir standen direkt an der Straße und dann hastes gehört! Die im Auto vorbeigefahren sind, sind voll in die Eisen gestiegen, als sie die Ziegen gesehen haben“, erinnert sich Nevermann. Ein Pony hatten sie auch. Das Geschäft lief sogar so gut, dass Nevermann „aufpassen musste, dass das Pony auch mal Pausen bekommt. Alle Kinder wollten ja auf ihm reiten.“

Noch immer gibt der Mann mit den löchrigen Schuhen und den ausgebeulten Jeans gerne den Aufpasser. Seit sechs Jahren heißt sein Schutzobjekt Marcel Fetting. Der 24-Jährige mag der Inhaber sein, doch Nevermann ist die Graue Eminenz von Flodderland. Den ganzen Schreibkram, die Behördengänge, die Eintragung ins Handelsregister, die Verhandlungen mit den Vermietern, die Gespräche mit möglichen Geldgebern – all das erledigt Nevermann. Fetting kann gut schweigen und Wasserrohre verlegen. Das Reden aber gehört nicht zu seinen Stärken.

Nur einmal blüht er kurz auf: Nevermanns zweijährige Tochter ist zu Besuch, wie so oft. Fetting nimmt sie auf den Schoß: „Hast du Hunger?“, fragt er die Kleine, „gleich gibt’s was zu essen.“ Dann schält er ihr eine Mandarine. Es ist eine von den ganz kleinen, die sich schlecht schälen lassen, mit viel bitterem Weiß auf dem Fruchtfleisch.

Das Pony von damals ist inzwischen weg. Zehn von elf Ziegen auch. Tot. „Vergiftet“, analysiert Nevermann. Er glaubt, dass der Boden schuld ist, auf dem die Ziegen zuletzt gegrast haben. Derselbe Boden, auf dem auch er und Fetting leben. 2004 sind die Männer mit ihren Tieren und Wohnwagen vom Stellplatz in Blankenfelde hierhergezogen, auf die Brache zwischen der A 114 und dem Berliner Ring. Zeit seines Lebens hat Nevermann in Wohnwagen gelebt und „immer gegen die Polizei und die anderen Anwohner gekämpft“.

Steffen Nevermann ist Heimkind, seine Eltern kennt er nicht, eine Geburtsurkunde existiert nicht. Das einzige offizielle Dokument, das er besitzt, ist ein Reisepass. Und auch den hat er nur, weil ein fürsorglicher Beamter ihm nach einem Gefängnisaufenthalt helfen wollte, wenigstens offiziell zu existieren. Nevermann, der von einer auf die andere Sekunde vom sanften Vater zum polternden Bambulemacher werden kann, hatte einem Mann in München gedroht, „die Kniescheibe durchzuschießen“, wenn er ihm nicht die Kohle gebe, die ihm zustehe. „Wissen Sie, ich bin Staatsfeind Nummer sieben. Die Plätze eins bis sechs sind schon besetzt. Von Schröder und Merkel und wie sie alle heißen.“ Ein Leben im Kampf.

Nevermanns Zorn bekommen derzeit der Bezirk Pankow und sein Vermieter, die mächtige Rüstungsfirma Diehl aus Nürnberg, zu spüren. Diehl hatte das Grundstück nach der Wende erworben. Die schnelle Mark lockte. Doch es kam anders. Das umzäunte Gelände, das von außen aussieht wie eine Kaserne, ist heute mit Autowracks, meterhohen Haufen von Pflastersteinen und alten Baracken übersät. In einer dieser Baracken haust der Motorradclub „E18“, dessen Logo in Runen geschrieben ist. Am anderen Ende versteigert das Unternehmen German Auctions Baumaschinen. Dazwischen friemeln Autoschrauber an rostigen Karren herum. Alles am Rande der Legalität, denn soweit bekannt, existiert für das Gelände keine Betriebsgenehmigung. Auch beim zuständigen Grundbuchamt Hohenschönhausen weiß man von nichts: „Ob Betriebsgenehmigungen existieren, kann von unserer Seite nicht beantwortet werden, da uns darüber keine Informationen vorliegen“, heißt es auf Anfrage.

Verdacht auf Altlasten? Keine Dringlichkeit!

Sicher ist nur, dass das Gelände eine von rund 9.000 sogenannten Altlastenverdachtsflächen in Berlin ist. Wegen der früheren Nutzung dieser Flächen ist es wahrscheinlich, dass sie auch heute noch verschmutzt sind, mal mehr, mal weniger. Mal wird eine dieser Flächen gereinigt, mal nicht, je nachdem wie dringend es ist. Bei Fetting und Nevermann ist es wahrscheinlich nicht dringend. Sagt einer der zwei Sachbearbeiter in der Senatsverwaltung, die für die Beseitigung von Altlasten zuständig sind. Doch was ist dringend? „Wenn auf den Grundstücken demnächst gebaut wird zum Beispiel.“ Bei Fetting wird nicht gebaut. Dort wird gehaust.

„Schauen Sie sich doch mal die Ziege an. Die hat nur noch Unterfell!“, bellt Nevermann und deutet auf das braune Wesen, das gerade aus einem Bauwagen eine Rampe herunterwackelt. Und wirklich, die Ziege hat schon bessere Tage gesehen. Ihr Gehege teilt sie sich mit Jumbo, dem Lama. Futterneid gibt es nicht. Jumbo frisst nicht vom Boden, die Ziege schon. Deswegen macht es die Ziege „auch nicht mehr lange“, prophezeit Nevermann lakonisch, während er mit der rechten Hand durch die Jumbo-Zotteln fährt. Die Hand sieht nach Arbeit aus. Aber Nevermann lebt von seiner Rente.

Eine Bodenprobe konnte Nevermann bis heute nicht nehmen und analysieren lassen, um seinen Verdacht zu belegen: „Kein Geld!“ Das zuständige Umweltamt des Bezirks Pankow übt sich in Arbeitsverweigerung. Zwar hat man eine Mitarbeiterin vorbeigeschickt, aber eine Probe wollte auch sie nicht mitnehmen. Der Bezirk sei „nicht zuständig“, erklärte sie dem aufbrausenden Nevermann. Eine entsprechende Anfrage der taz verhedderte sich in wechselseitigen Kompetenzzuweisungen innerhalb des Umweltamts sowie zwischen Senats- und Bezirksverwaltung. Auch der Umweltbeauftragte des Grundstückseigentümers Diehl war schon da. Er ging wieder, ohne Proben zu nehmen. Dafür ließ er neue Sicherheitsvorschriften für die doppelwandigen Öltanks da, die Fetting besitzt.

Die Tiere kippten um, eins nach dem anderen

In der Zwischenzeit kippte eine Ziege nach der anderen um. Zehn von elf, alle innerhalb nur eines Jahres. „Das Futter kann es nicht sein“, davon ist Nevermann überzeugt. „Das bekommen wir von einem Sponsor, der uns wohlgesonnen ist.“ Mit jeder toten Ziege schwand aber die ohnehin prekäre Existenzgrundlage des Streichelzoos Flodderland weiter dahin.

Heute ist die Grundlage verschwunden. Ohne Ziegen kein Streicheln, ohne Streicheln keine Kundschaft, ohne Kundschaft kein Geld, so einfach ist das. Hier hinten, im letzten Eck des Diehl-Geländes, das sie „Hobby Gewerbe Point“ getauft haben, kommt ja so gut wie niemand vorbei, außer den Gesandten des Vermieters, dem Postboten oder den Freunden der beiden Männer. Und natürlich den Mietern, die den Einnahmeausfall des Streichelzoos halbwegs ausgleichen sollen. Drei oder vier der Bau- und Wohnwagen, so genau weiß Nevermann das gar nicht, haben sie vermietet, „an Hartz IV-Empfänger“. Nein, sprechen könne man mit denen nicht. Warum? „Nicht da.“ Und der andere? „Schläft.“ Nevermann glaubt an die Zukunft der Wohnform „Wohnwagen“. Ein Blick nach Amerika genüge doch, dann wisse man schon, was „auf uns zukommt“. Inständig hofft man, er möge sich irren, der Mann, den keiner kennen will.