Delikate Mutprobe

INSEKTEN Klein, aber oho: Nicht nur Obst, Gemüse, Fisch und Fleisch sättigen und schmecken gut

Was im RTL-„Dschungelcamp“ als Mutprobe inszeniert wird, ist für Milliarden Menschen Normalität: Bewohner der fleisch- und fischarmen Regionen Asiens, Afrikas und Lateinamerikas haben sich schon lange Insekten als proteinreiche und billige Nahrungsquelle erschlossen.

Etwa tausend Insektenarten gelten als essbar, darunter Bienenlarven, Grillen, Skorpione und Mehlwürmer. Je nach Esskultur werden sie gekocht, gegrillt, gebraten oder geröstet. Nicht alle Insekten sind in allen Stadien essbar. So gelten ausgewachsene Käfer als ungenießbar, Käferlarven dagegen als besondere Delikatesse.

Kulinarisch vielfältig und ökologisch gut aufgestellt

Noch werden sie vor allem in freier Wildbahn gesammelt – Grillen beispielsweise werden in Asien mit großen Keschern aus den Feldern gefischt. Es gibt aber immer mehr professionelle Züchter oder Bauern, die vom Milchvieh aufs Insekt umrüsten. In Laos, wo schätzungsweise 90 Prozent der Bevölkerung regelmäßig Insekten zu sich nehmen, ist das ein lukrativer Wirtschaftszweig. Ein laotischer Insektenzüchter verdient 115 Dollar im Monat, mehr als doppelt so viel wie ein Textilarbeiter.

Auch die UN-Organisation für Ernährung und Landwirtschaft (FAO) hat das Potenzial der Gliederfüßer für sich entdeckt und 2010 eine Kampagne begonnen, die das Image des Insekts als Nahrungsmittel verbessern und die Insektenzucht fördern soll (die taz berichtete).

So sollen nicht nur Hunger und Mangelernährung in armen Regionen bekämpft werden – Insekten gelten wegen ihres hohen Anteils an ungesättigten Fettsäuren, Ballaststoffen und Vitaminen als besonders gesund, und es gibt überall essbare Arten –, sondern es soll auch gegen den Klimawandel gearbeitet werden. Denn die Insektenzucht zeichnet sich zum Beispiel vor der Rinderzucht durch eine ungleich bessere Energiebilanz aus. Während eine Kuh 8 Gramm Futter zu sich nehmen muss, um ein Gramm zuzulegen, sind es bei einem Insekt nur 2 Gramm. Außerdem scheidet das Insekt bei der Verdauung viel weniger klimaschädigendes Methan aus.

Ob das irgendwann dazu führen wird, dass Insekten auch auf europäischen Speiseplänen Einzug halten? Es gibt Pioniere: Bei dem in Berlin ansässigen Onlineversand Braidy Snack, einem selbst ernannten Spezialisten für „außergewöhnliche, exotische und bizarre Spontaneitäten“, kann man Ameisen, Skorpione, Dungwürmer und Heuschrecken in Tüten ordern. Die Skorpione lassen sich direkt aus der Tüte oder warm, serviert mit diversen Dips genießen: Aufgrund ihrer Entwicklung aus amphibischen Vorfahren schmecken sie krabbenähnlich, heißt es.

Heuschrecken serviert auch das Restaurant „Never Never Land – Outback“, das sich als „The first Australian Pub and Kitchen in Berlin“ versteht. Einen gemischten Salat mit frittierten Grashüpfern bekommt man dort für 8,90 Euro. „Wie Erdnussflips“, beschreibt „Never Never Land“-Betreiber Orkun Artmaz den Geschmack. Sowohl Heuschrecken als auch Schwarzkäferlarven, die beiden Insektenarten, die auf seiner Speisekarte stehen, seien außerdem äußerst vielseitig einsetzbar: So schmeckten sie auch als Nachtisch im Schokoladen- oder Karamellmantel.

Artmaz bezieht die Tiere von einem Berliner Züchter. Sie kommen lebend bei ihm an und werden dann mindestens sechs Stunden lang schockgefrostet, bevor sie in die Fritteuse wandern. Über mangelnde Nachfrage kann er sich nicht beklagen: Obwohl er auch weniger gewöhnungsbedürftige Exotika wie Känguruhsteak und Geschnetzeltes vom Krokodil anbietet, kämen viele Gäste vor allem wegen der Insekten.

Könnten der Dioxinskandal und die fortdauernde Debatte über Massentierhaltung einer grundsätzlichen Umorientierung zugunsten der Heuschrecke förderlich sein? Nein, lacht Artmaz, förderlich sei da schon eher das Dschungelcamp.

SOPHIE DIESSELHORST