„Das Verschwinden jeglicher Vernunft“

Morgen hat Arthur Millers Drama „Hexenjagd“ Premiere am Hamburger Thalia Theater. Das Stück sei zwar alt, meint der Regisseur Andreas Kriegenburg, aber hochaktuell. Denn ein neues geistiges Mittelalter drohe – auch heute, auch uns

Interview KATRIN JÄGER

taz: Herr Kriegenburg, Arthur Miller hat „Hexenjagd“ 1952 geschrieben. Es handelt vom Hexenwahn in dem kleinen US-amerikanischen Städtchen Salem der frühen Neuzeit. Warum interessiert Sie diese Thematik?

Andreas Kriegenburg: Wir leben in einer Zeit, da wir nicht nur bemerken müssen, dass sich zwei Weltreligionen darüber definieren, dass sie sich aneinander reiben und wir dadurch den Umstand erleben, dass sich die Werte, die sie versuchen zu vermitteln, wieder verfestigen. Darüber hinaus geht es in dem Stück ja um die Mechanismen von Macht und Mechanismen von Massen, die in Panik geraten und dann nicht mehr aufzuhalten sind. Und es geht ganz stark um das Verschwinden jeglicher Vernunft. Das ist ein Thema, was uns tragischerweise durch viele Zeiten begleitet, aber auch im Moment ein sehr aktuelles ist.

Transportieren Sie die Handlung ins Jetzt?

Es gibt einen kleinen Verweis darauf, dass es wahrscheinlich in einer imaginären Zukunft spielt. Meine Angst vor der Dummheit von Massen hat mich dahin getrieben, diese Geschichte in die Zukunft zu verlagern. Weil ich das Gefühl habe, dass wir in erreichbarer Zukunft, also in 70, 80 Jahren vielleicht, in einem geistigen Mittelalter wieder angekommen sind.

Wie gelangen Sie zu dieser pessimistischen Prognose?

Wenn ich Anti-Homosexuellen-Demonstrationen sehe in Amerika auf der Straße. Wo der brave Bürger Transparente trägt, wo drauf steht „Gott verachtet euch“, dann macht mir das Angst. Ebenso, wenn ich höre, dass es tatsächlich Bestrebungen gibt, der Evolutionslehre die Schöpfungsgeschichte in den Lehrplänen gleichberechtigt entgegenzusetzen, dann sind das Tendenzen, die ich höchst bedenklich und erschreckend finde. Und das ist, glaube ich, nur die Spitze des Eisberges. Besorgnis erregend ist die Durchdringung von Staat und Politik, das nimmt Dimensionen an, von denen ich nicht gedacht habe, dass die uns noch einmal begegnen würden. Grundsätzlich, glaube ich, dass man so ein Stück nur machen kann aus einer eigenen Betroffenheit. Ich hoffe, dass meine Angst sich tief in die Inszenierung eingelagert hat. Nicht nur als rationale Besorgnis, sondern tatsächliches Betroffen-Sein.

Meinen Sie, dass diese Durchdringung hierher schwappen könnte?

In der globalen Wahrnehmung sind wir ganz nah dran an dem, was geistig in Amerika passiert. Ich glaube zwar nicht, dass diese Extreme auch in Europa kommen können. Weil die Tradition der Aufklärung sich in unserer Kultur zu sehr festgesetzt hat. Aber wir sind den Auswirkungen und dem Einfluss der amerikanischen Politik ausgesetzt.

Spannend macht das Stück, dass Emotionen die gesellschaftlichen Ereignisse direkt steuern – und umgekehrt. Worauf legen Sie besonderen Wert?

Zentral ist sicherlich der Kontrast zwischen der eigenen Verantwortung, in der jeder steckt, den Fehlern, die er begeht, und der Schuld, die er auf sich lädt. Und der Umgang jedes einzelnen mit der Wahrheit: Entweder schweigen wir oder wir vertreten sie. Das ist ein zentrales Motiv. Sicherlich ist auch die Suche nach der Möglichkeit zu lieben einer der großen Momente.

Miller veröffentlichte „Hexenjagd“ als Parabel auf die Kommunistenverfolgung während der McCarthy-Ära. Ist Ihre Inszenierung auch als Parabel gemeint?

Heutzutage ist das Stück von dieser Parabelhaftigkeit erlöst. Das heißt, die Bigotterie der Gesellschaft, die beschrieben wird, ihre Verlogenheit in ihrer Gottesfürchtigkeit, steht nicht mehr für etwas anderes. Die Hexen stehen tatsächlich für die Angst vor der fremden Spiritualität. Und das ist der Vorteil heute: dass wir die Ebene der Gottesfurcht und der Religiosität wieder als die Erzählebene wahrnehmen. Dadurch erzählt sich die Geschichte direkter, böser, uns betreffender.

Ist das politisches Theater?

Auf jeden Fall Theater, das versucht, sich sehr geradlinig und mit großer erzählerischer Vehemenz zu der Jetztzeit zu artikulieren. Sicherlich Theater, das sehr, sehr laut sagt: Wir sind jetzt, und das ist unser Dilemma.

Bei Miller führt die schwarze Sklavin Tituba die Mädchen in den heidnischen Kult ein. Spielt bei Ihnen eine Schwarze diese Rolle oder wird, wie traditionell im deutschen Theater, eine Weiße schwarz angemalt?

Sie ist weiß angemalt. Wir haben gar nicht versucht, das genauer zu erklären. Wir haben versucht zu verhindern, dass es da so eine Art des Ethno-Pop oder der Folklore gibt. Wichtig ist nur, dass sie sehr fremd ist, einfach anders als die anderen.

Premiere: Sonnabend, 20. 1., 20 Uhr, Thalia Theater, Hamburg. Nächste Vorstellungen: 21. 1., 19 Uhr; 23. + 24. 1., jeweils 20 Uhr