„Die Nahost-Politik der USA ist bigott“

In der US-Außenpolitik wird sich nichts Wesentliches ändern. Vielleicht wird, dank der Demokraten, der Ton etwas weniger aggressiv – doch von ihrer einseitigen Pro-Israel-Politik wird Washington nicht abrücken, so Noam Chomsky

taz: Herr Chomsky, wird sich die Politik von George W. Bush nach dem Sieg der Demokraten bei den Kongresswahlen ändern?

Noam Chomsky: In der Innenpolitik wird sich wahrscheinlich etwas ändern. Zwar richten sich Demokraten und Republikaner an den politisch rechts ausgerichteten Bevölkerungsteilen aus. Doch der von den Demokraten dominierte Kongress wird zweifelsohne einige der schlimmsten Angriffe auf Bürger- und Menschenrecht abwehren – und voraussichtlich versuchen zu verhindern, dass die Bush-Regierung die schwachen, aber nichtsdestotrotz wichtigen Sozialprogramme unterminiert.

Und wie steht es mit der Außenpolitik?

Ich fürchte, dass sich dort wenig ändern wird – außer beim Umgang mit anderen Regierungen. Denn die unverschämte Arroganz der Bush-Extremisten hat sogar ihren eigenen Interessen schwer geschadet, ganz sicher den Interessen des Landes. Dafür sind sie sogar aus dem Regierungslager heraus heftig angegriffen worden. Es wird also eine Rückkehr zur Normalität geben – aber ohne Kursschwenk.

Sie haben schon die Außenpolitik von Clinton scharf als „illegal, aber legitimiert“ kritisiert. Werden die Demokraten wirklich nichts Neues machen?

Nur das, was ich gerade beschrieben habe. Bush hat 2002 in Verbindung mit der Quasi-Kriegserklärung an den Irak seine Präventivkrieg-Doktrin erklärt. Die Ex-Außenministerin Madeleine Albright bemerkte dazu zutreffend, dass diese Bush-Doktrin keinesfalls neu war. Sie klang bei Bush nur arroganter als bei anderen Präsidenten. Tatsächlich aber war die Clinton-Doktrin extremer als die von Bush – denn Clinton wollte die USA autorisieren, militärisch Märkte und Ressourcen zu kontrollieren, und sogar ohne die Menschenrechts-Vorwände, die Bush und Blair benutzten. Clintons Doktrin wurde allerdings still und unauffällig umgesetzt. Bush hat aggressiv Gewalt eingesetzt und diplomatische Lösungen negiert. Es gibt nun immerhin die Hoffnung, dass dies aufhört und sich die Außenpolitik wieder normalisiert.

Wird sich in der US-Politik bezüglich Israel und Palästina denn nichts tun?

Wenn, dann nicht wegen des Sieges der Demokraten bei den Kongresswahlen. Denn die Demokraten waren oft viel extremer in ihrer Unterstützung für Israels Expansionismus als die Republikaner.

Also wird sich nichts verändern?

Die USA und Israel lehnen den internationalen Konsens ab, dass es eine Zwei-Staaten-Lösung geben muss. Diesen Konsens versuchen die USA und Israel, von kurzen Phasen abgesehen, seit 30 Jahren faktisch zu torpedieren.

In den USA zweifeln manche die Rechtmäßigkeit der Wahl in Palästina an …

Das zeigt in enthüllender Weise, was es mit der Demokratie, die die USA und ihrer Verbündeten so oft im Munde führen, auf sich hat. Vor einem Jahr gab es in Palästina eine freie Wahl, die außerordentlich genau von internationalen Beobachtern begleitet war. Doch das Resultat war „falsch“, denn die Hamas gewann. Die USA und Israel initiierten deswegen mit europäischer Unterstützung politische Maßnahmen, die die Bevölkerung für diesen Fehler bestrafen sollte: mehr militärische Angriffe, illegales Einfrieren von Geldern und sogar die Barbarei, dem Gaza-Streifen das Wasser abzustellen.

Das hat aber nicht die US-Regierung getan.

Nein, aber Israel kann solche Aktionen nur mit US-Unterstützung und Genehmigung ausführen. Die Rechtfertigung für diese Strafen lautete, dass die gewählte Hamas-Regierung drei Bedingungen abgelehnt hätte – nämlich erstens Israel anzuerkennen, zweitens sich von der Gewalt abzukehren und drittens die vorherigen Abkommen zwischen Israel und Palästina anzuerkennen.

Was ist daran falsch?

Nun, damit fordert die US-Israel-Koalition genau das, was sie selbst nicht bereit ist zu tun. Sie wollen Palästina nicht anerkennen, sie verzichten nicht auf Gewalt, und dass sie vorherige Abkommen akzeptieren, ist offensichtlicher Betrug. Die Roadmap hat Israel nur mit 14 Einschränkungen akzeptiert, die den sowieso ziemlich knappen Inhalt bedeutungslos machen. Dies ist mit dem stillen Einverständnis der USA geschehen. Dass Medien und Kommentatoren dies akzeptieren – oder präziser: so tun, als wüssten sie davon nichts –, erzählt eine Menge über das intellektuelle Klima innerhalb der westlichen Eliten. Währenddessen zerstückelt Israel die Westbank weiter und baut die illegale Mauer weiter. Es separiert das schwindende Terrain, das den Palästinensern zugesprochen war.

Und was tut Europa?

Aus Europa ist manchmal schwaches Kritik-Gewisper zu hören. Aber faktisch arbeitet es an der grausamen Zerstörung einer Nation mit. Eine seltene Kombination in der Geschichte.

INTERVIEW: PETER KRIPGANS