„Ein linkes Entenhausen“

Ein Gespräch mit dem Zeichner Andreas Michalke und Diedrich Diederichsen über verlorene Dissidenz, Ironie, die Kunst des Zuspätkommens und Michalkes neues Comicbuch „Bigbeatland“

INTERVIEW ANDREAS HARTMANN

taz: Herr Diederichsen, interessiert Sie der Comic als dissidentes Medium?

Diedrich Diederichsen (DD): Das Wort „Dissidenz“ ist generell bei Gegenwartskunst, nicht nur bei Comics zu hoch gegriffen. Genauso wie in der Popmusik und in anderen Spezialistenkulturen wie etwa dem asiatischen Kino gibt es auch hier inzwischen Experten innerhalb des Mainstreams. Das ist in all diesen Bereichen prinzipiell das Gleiche: Vor 10, 15 Jahren waren diese Künste und ihre Milieus noch aus der Mainstreamkultur ausgeschlossen, weswegen man sie auch noch leichter für kontrovers halten konnte. Heute wird zumindest die Spitze des Eisbergs auch vom Mainstream beachtet. Mittlerweile gibt es auch in der Comicszene eine Sicherung des kanonischen Erbes.

Herr Michalke, sehen Sie Comics ebenfalls als im Mainstream angekommen?

Andreas Michalke (AM): Wir haben gerade die neue Comiczeitung Mamba (s. taz vom 20. 12. 2006) gestartet. Ich wollte damit so etwas wie die türkischen Comiczeitungen – quasi Underground-Comics, die sich wöchentlich massenhaft verkaufen – auch hier unter unabhängigen Bedingungen, ohne Werbung und Zensur, an die Kioske bringen. Ein relativ schnell aufkommendes Problem war: Die an Mamba beteiligten Zeichner erkennen gar nicht die ihnen gebotene strukturelle Freiheit als Qualität. Die meisten haben gar nicht den Impuls, das zu zeichnen, was ihre Auftraggeber stören könnte – ihnen ist eigentlich egal, für welche Zeitung sie arbeiten. Ich kann Dissidenz im Comic also weitestgehend auch nicht sehen.

DD: Vielleicht liegt das gar nicht so an der Position der Künstler, sondern an der Art, wie das allgemeine Kulturwesen damit umgeht. Viele Leute halten Comics immer noch für frivol und sagen: Ich kann das nicht lesen, ich mag diese Buchstäblichkeit nicht. Und ich finde ja auch: Man kann Comics nur ertragen, wenn man sie als Genre und nicht als bildkünstlerischen Vorschlag begreift.

Herr Diederichsen, Sie vergleichen Michalkes Arbeit mit der von Raymond Pettibon, der in den frühen 80ern zahlreiche Cover für amerikanische Hardcore-Bands entworfen hat und selbst Teil dieser Szene war. Was verbindet die beiden?

DD: Die Arbeiten von Andreas Michalke und vom frühen Raymond Pettibon geben einem Außenstehenden, den Musikfans in der Provinz etwa, das Gefühl: Da kann man einfach einsteigen. Das liegt daran, dass die von ihnen vorgeführte Welt eine Geschlossenheit vermittelt, dass sie eine Art Entenhausen-Effekt hat. Im Falle von „Bigbeatland“ ist das dann eben ein linkes Entenhausen.

„Bigbeatland“ kreist um linke Jugend- und Subkulturen. Sieht man dem Comic an, dass sein Verfasser bereits 40 Jahre alt ist?

DD: Na ja, ein paar Sachen würden bei ganz jungen Leute nicht mehr vorkommen. Etwa das politische und das musikalische Milieu so eng zu führen, wie Andras Michalke das tut.

AM: Das glaube ich jetzt nicht. Dafür kenne ich noch zu viele Leute in dem Umfeld, in dem ich mich bewege. Manchmal denke ich zwar, dass es für die Geschichten besser wäre, wenn ich noch näher dran wäre an den Dingen, vielleicht Bewohner eines besetzten Hauses wäre: Aber ich habe schon beobachtet, dass viele Musik und Politik noch genauso eng führen wie ich – und die sind zwanzig Jahre jünger als ich. Der einzige Unterschied zwischen uns ist vielleicht, dass sie nicht so eine Distanz zu den Dingen haben wie ich – diese Form von Ironie.

DD: Also ironisch finde ich das gar nicht, was du machst.

AM: Um so besser.

DD: Mich hat das überrascht, wie ernsthaft und solidarisch du mit dem Personal deines Comics umgehst. Selbst bei den politischen Kontrahenten: Sie werden vielleicht etwas zugespitzt dargestellt, aber eine grundsätzliche Distanzierung von dem Milieu passiert nicht. Es ist eher so, dass das Milieu in einer Weise ernst genommen wird, wie man das selten erlebt. Konflikte zwischen Anti-Imps und Antideutschen werden ja im Normalfall außerhalb des Milieus noch nicht mal wahrgenommen.

AM: Ein Freund von mir meinte einmal zu mir, dass er das eine Superidee gefunden hätte, dass ich die „Antideutschen“ erfunden hätte. Als er dann herausfand, dass es die wirklich gibt, war er ein wenig enttäuscht.

In „Bigbeatland“ kreuzen sich einige Milieus: Besetzer, Antideutsche, Lesben, Musik-TV-Moderatorinnen, Anti-Imps, Freie-Radio-Macher, Musiknerds. Stehen Sie diesen Milieus distanziert, solidarisch oder nostalgisch gegenüber?

AM: Ich wohne jetzt nicht in einem besetzen Haus oder bin politischer Aktivist.

DD: Ich wohne auch nicht in einem besetzten Haus, betrachte mich aber in meiner Arbeit natürlich nicht als unpolitisch. Aber Aktivist in dem Sinne, dass ich an Initiativen beteiligt wäre, die praktische Politik machen, bin ich nicht. Diese intensive Lebensform, auch körperlich und unter Einsatz der Leber, das habe ich persönlich irgendwann eingeschränkt. Aber das Befreundetsein mit Leuten in diesen Milieus, das hat nicht aufgehört. Und dann habe ich ja seit 15 Jahren auch mit Studierenden zu tun – einerseits mit Leuten, die Künstler sind oder werden wollen, andererseits mit Leuten aus den Bereichen Design, neue Medien, Netzkultur. So habe ich zwei unterschiedliche Zugänge zu den neuen und alten subkulturellen Milieus.

AM: Andererseits finde ich beispielsweise schon, dass es etwa viel mehr Antideutsche geben sollte. Aber die sollten wirklich antideutsch sein und sich das nicht bloß als Ideologie überstülpen. Die sollten mal wirklich immer zu spät kommen, deutsche Tugenden abstreifen – einfach nicht mehr so deutsch sein.

DD: Das gibt es bestimmt bereits als Geschäftsidee: den Laden, in dem die Mitarbeiter gezielt zu spät kommen – „Servicewüste Deutschland“ vielleicht.