Venezuela ist keine Diktatur
: KOMMENTAR VON CHRISTOPH TWICKEL

Schon vor seinem deutlichen Wahlsieg hatte Venezuelas Hugo Chávez versprochen, es werde für seine „bolivarische Revolution“ keine Pause geben. Er hält Wort. An Weihnachten verkündete er die Bildung einer sozialistischen Einheitspartei, jetzt kündigte er an, sich von der Nationalversammlung ein Ermächtigungsgesetz verabschieden zu lassen. Das soll ihm die Verstaatlichung der Telekommunikationsgesellschaft, des Stromsektors und der Wasserwirtschaft erlauben. Wird aus Hugo Chávez, dem Anführer der „netten Revolution“, nun doch ein Despot?

Die Sache ist komplizierter. Sicher: Wenn ihm der parlamentarische Prozess zu langwierig ist, neigt der Exmilitär zum Dekretieren. Das Ermächtigungsgesetz ist bereits sein drittes seit 1999. De facto ist das Parlament ohnehin zu hundert Prozent chavistisch, nachdem die Opposition bei den Wahlen 2005 nicht angetreten war. Dass die Privatisierungen der neoliberalen 90er rückgängig gemacht werden und die seit den 70ern gesetzlich verankerte Staatsmehrheit im Erdölsektor durchgesetzt wird – für all das hat Chávez ein solides demokratisches Mandat. Wenn die Regierung die Konzession eines privaten Fernsehkanals auslaufen lässt, mag das ein Signal an die oppositionellen Medien sein, die sich mit Kampagnen gegen Chávez überboten haben. Dass damit die Meinungsfreiheit bedroht sei, kann nur behaupten, wer keine venezolanischen Zeitungen liest.

Die Einheitspartei schließlich bringt weniger die venezolanische Demokratie als die Funktionärskaste von Chávez eigener Partei MVR in Gefahr. Es müsse Schluss sein mit Klüngel und Postenschieberei, so Chávez.

Die „Sozialistische Einheitspartei Venezuelas“ müsse von den sozialen Bewegungen statt von Parteibürokraten getragen werden. Mit den so genannten Gemeinderäten will der venezolanische Revolutionsführer in den nächsten Jahren die „Volksmacht“ befördern. Ob daraus eine Einheitspartei ohne Apparatschicks, dafür aber mit basisdemokratischen Strukturen entsteht, ist noch nicht absehbar. Mit einer Diktatur hat derlei vorrevolutionäres Durcheinander in Venezuela allerdings nichts zu tun.

Der Autor hat kürzlich die Biografie „Hugo Chávez“ (Nautilus) veröffentlicht.