Die EU wird unruhig

VON THOMAS GERLACH

Abrupt endete gestern die „Rote Woche“, diese lange Kette von arbeitsfreien Festtagen zwischen Neujahr und orthodoxem Weihnachtsfest in Weißrussland und Russland. Am Mittag hat das russische Wirtschaftsministerium die weißrussische Delegation abblitzen lassen. Sie war aus Minsk angereist, um den Streit um die versiegte Erdölleitung „Druschba“ beizulegen.

„Russland hat seine Verhandlungsposition noch nicht vorbereitet“, schimpfte der stellvertretende weißrussische Wirtschaftsminister Wladimir Naidunow. Und sein Kollege Andrej Scharonow stellte ebenso unmissverständlich klar: Es gebe auch nicht viel zu verhandeln.

Die russische Seite kofferte zurück. Der stellvertretende russische Wirtschaftsminister sagte: „Gespräche mit Weißrussland beginnen erst nach der Rücknahme des ungesetzlichen Zolls auf die Durchleitung russischen Öls.“ Der russische Präsident Putin forderte sein Kabinett auf, darüber nachzudenken, die Ölförderung wegen der Pipelineblockade einzuschränken. So ist man in Europa unruhig geworden: EU-Kommissionspräsident Manuel Barroso und Bundeskanzlerin Angela Merkel haben den Lieferstopp des russischen Öls scharf kritisiert und für morgen ein Krisentreffen von Energieexperten einberufen. Am 21. Januar will Merkel nach Moskau reisen, um Putin zu treffen. Und die Ölkrise weitet sich aus: Neben Deutschland und Polen fließt seit gestern auch in Tschechien, der Slowakei und nach Ungarn kein russisches Öl mehr durch die „Druschba“-Pipeline.

Die Positionen in dem Streit um das russische Erdöl sind festgefahren. Seit Jahresanfang belegen Russland und Weißrussland die Ölexporte des anderen mit Strafzöllen. Für beide Seiten steht viel auf dem Spiel: Bisher hatte Weißrussland eine sprudelnde Einnahmequelle, weil es billiges russisches Öl verarbeitet und teuer in den Westen weiterverkauft hat. Mit den Erlösen hat der weißrussische Präsident Alexander Lukaschenko seinen Landsleuten ein bescheidenes, aber stabiles Dasein garantiert. Es war stabiler jedenfalls, als es das Minsker Staatsfernsehen aus der Ukraine und Russland schildert.

Auf der anderen Seite steht Russlands Ruf als verlässlicher Versorger für die EU auf dem Spiel. Einen neuen Anlauf soll heute der weißrussische Ministerpräsident Sergej Sidorski unternehmen. Er dürfte in Moskau schon auf offenere Ohren stoßen. Schließlich hat Wladimir Putin nun selbst die Richtung gewiesen. Die Interessen der westlichen Abnehmer seien zu wahren, betonte der russische Präsident bei einem Treffen mit dem russischen Wirtschaftsminister Gref.

Diese Worte richteten sich vor allem an Berlin, wo sich zeitgleich die EU-Kommission aus Anlass der beginnenden deutschen EU-Ratspräsidentschaft unter Vorsitz von Angela Merkel traf. Und so tadelte die Kanzlerin Richtung Moskau, dass es nicht akzeptabel sei, wenn es keine Konsultationen über solche Vorgänge gebe.

Aber: Selbst wenn sich Minsk und Moskau bald einigen sollten – der Streit dürfte weit reichende Folgen haben, hat er doch die Grundfesten der seit 1996 bestehenden „Union Russland-Belarus“ erschüttert. Teil dieser politisch nicht gerade vitalen Union ist eine gegenseitige Zollfreiheit, die sich zwischen Minsk und Moskau nun aufgelöst haben dürfte.

So hat der Präsident der russischen Duma, Boris Gryslow, gedroht, das Minsker Verhalten werde Auswirkungen auf die Zukunft der Union haben. Alexander Lukaschenko sucht unterdessen geistlichen Beistand. Der weißrussische Präsident beschwor am Sonntag in der Orthodoxen Kathedrale von Minsk „die wichtigsten Werte des Volkes, Souveränität und Unabhängigkeit“. Sie würden weder für Gas noch für Öl verkauft. Am Montag ehrte er gemeinsam mit Metropolit Filaret verdiente Persönlichkeiten. Titel der Auszeichnung: „Für geistliche Wiedergeburt“.