Mutter aller Vollmachten

Per Dekret möchte Hugo Chávez seine Verstaatlichungspläne durchsetzen. Heftig wettert er gegen Zensurvorwürfe

AUS BUENOS AIRES JÜRGEN VOGT

„Wir bewegen uns auf den Sozialismus zu, und nichts und niemand kann dies verhindern.“ Venezuelas Präsident Hugo Chávez gab am Montagabend übers Fernsehen die Richtung vor. Zuvor hatte er seine neues Kabinett vereidigt. Dabei kündigte er die Verstaatlichung privater Unternehmen an und forderte zudem „spezielle Vollmachten für eine Reihe von revolutionären Gesetzen“, um den von ihm propagierten „Sozialismus des 21. Jahrhunderts“ voranzubringen.

Chávez, der heute feierlich in seine dritte Amtszeit eingeführt und vereidigt wird, hatte am 6. Dezember mit rund 62 Prozent der Stimmen die Präsidentschaftswahl gewonnen. Er regiert das Land bereits seit 1999. Die neue Amtszeit wird 2013 enden. Die Kabinettsvorstellung am Montag nutzte der 52-Jährige nicht nur für weitreichend klingende Ankündigungen, zudem wechselte er elf Minister und den Vizepräsidenten aus. Dass der alte Justizminister seinen Hut nehmen musste, war sicher dem Gefangenenaufstand in den letzten Tagen geschuldet, bei dem mindestens 22 Häftlinge ums Leben kamen. Chávez warf daraufhin dem bisherigen Amtsinhaber „Mängel bei der inneren Sicherheit und Infrastruktur“ vor.

Warum jedoch der alte Bildungsminister mit einem Lob, er habe die vollständige Alphabetisierung des Landes vollzogen, nicht wieder zum Zuge kam, ist wohl chávistische Familienpolitik: Neuer Mann auf dem Posten ist Adan Chávez, der Bruder des Präsidenten. Mit dessen Eintritt ins Kabinett wächst der politische Einfluss der Familie Chávez weiter. Chávez’ Vater, Hugo de los Reyes Chávez, ist Gouverneur im Bundesstaat Barinas. Sein Cousin Asdrubal Chavez ist Leiter der staatlichen Ölfirma PDVSA.

Dem aus 25 Mitgliedern bestehenden Kabinett gehören 14 neue Minister an. Neu eingerichtet wurden die Ministerien für Telekommunikation, für indigene Bevölkerung und das Präsidialamt mit Ministerrang. Neuer Vizepräsident ist der frühere Chef der nationalen Wahlbehörde CNE, Jorge Rodríguez. Rodriguez war bereits während des umstrittenen Referendums zur Absetzung von Chávez im Jahr 2004 Vorsitzender der Wahlkommission.

„Alles, was privatisiert wurde, lasst es wieder staatlich werden“, rief Chávez seiner neuen Ministerriege und dem Vizepräsidenten zu. „Wir werden das soziale Eigentum über die strategischen Produktionsbereiche wiedererlangen.“ Im Visier hat der Präsident den Stromversorger Electricidad de Caracas, eine Tochtergesellschaft des US-Konzerns AES, und die Telefongesellschaft Nacional Telefonos de Venezuela (CANTV). Wörtlich sagte Chávez: „CANTV, Herr Vizepräsident, verstaatlichen Sie.“ Der Telefonriese CANTV, an dem das US-Unternehmen Verizon mit 28,5 Prozent Aktienanteil beteiligt ist, gilt als größtes börsennotiertes Unternehmen des Landes und war 1991 privatisiert worden.

Chávez’ Blick richtet sich aber auch auf die Ölförderprojekte im Orinoco-Becken, die er ebenfalls unter staatliche Kontrolle sehen möchte, insbesondere den gesamten Raffinierungsprozess des Erdöls. Seit über einem Jahr verhandelt Venezuela bereits mit vier Konsortien, in denen sich die Ölfirmen British Petroleum, Exxon Mobil, ChevronTexaco, ConocoPhillips, die französische Total und die norwegische Statoil befinden. Venezuela will die Beteiligung der staatlichen Petróleos de Venezuela (PDVSA), allerdings mit Aktienmehrheit.

Der Präsident kündigte an, die Verstaatlichungen mittels einem „revolutionären Vollmachtsgesetz“ durchzuführen, das als „Mutter aller Vollmachten“ demnächst von der Nationalversammlung beschlossen werden soll. Das Gesetz liege bereits als Vorlage in der Schublade, es seien nur noch letzte Abstimmungen mit dem Kabinett nötig. „Das Gesetz wird die wirtschaftliche Situation des Landes viel stärker beeinflussen“ als alle bisherigen, so Chávez. Konkreter wurde er nicht. In der Nationalversammlung verfügt Chávez über eine bequeme Mehrheit.

Fünf Motoren sollen die Umwälzungen in der neuen Etappe in Gang bringen. Das Vollmachtsgesetz, eine sozialistische Verfassungsreform, die Verstärkung der Volkserziehung, eine Neuordnung der Machtverteilung und – so Chávez in seiner blumigen Art – „die revolutionäre Explosion der kommunalen Räte“. Wie die neue Machtverteilung in Venezuela genau aussehen soll, werde er am heutigen Mittwoch im Parlament erklären. Auch die Zentralbank werde ihre Autonomie verlieren, sie sei ohnehin nie autonom gewesen, sondern immer von den USA abhängig, so Chávez.

Außenpolitisch bekam diesmal nicht sein Lieblingsfeind George W. Bush sein Fett ab, sondern der Generalsekretär der Organisation der amerikanischen Staaten (OAS), José Miguel Insulza. Einen „wahrhaftigen Schlappschwanz“ nannte Chávez den Mann, weil der es gewagt hatte, die drohende Schließung eines oppositionellen TV-Kanals in Venezuela als Zensurmaßnahme zu kritisieren.