„Es gibt keinen neuen Flügel bei den Grünen“

Katrin Göring-Eckardt fordert mehr Familienwerte im Parteiprogramm, sieht sich aber nicht als eine Spalterin

taz: Frau Göring-Eckardt, in Ihrem Papier „Jenseits der Lager“, das sie gemeinsam mit Parteifreunden entworfen haben, betonen Sie den Rang von Werten. Wollen Sie die Grünen zu einer Wertepartei machen?

Katrin Göring-Eckardt: Die Grünen sind eine Wertepartei. Bei der letzten Wahl sind wir vor allem wegen der Werte gewählt worden.

Welche Werte?

Ökologie, soziale Frage. Auch die Familie ist ein Wert an sich.

Wenn die Grünen längst eine Wertepartei sind, wieso müssen Sie dann eine stärkere Vermittlung von Werten fordern?

Die ökologische Frage zum Beispiel wird uns dieses Jahr stark beschäftigen. Da geht es auch immer um Wirtschaftspolitik. Wir finden aber: Nicht jede ökologische Frage lässt sich am Schluss ökonomisch umsetzen. Die Erhaltung der Eisbären hat nichts mit Arbeitsplätzen zu tun, ist aber trotzdem wichtig.

Haben die Grünen diese Werte in den letzten Jahren vernachlässigt?

So würde ich es nicht ausdrücken. Es gab andere Aufgaben.

Fraktionschef Fritz Kuhn will, dass die Menschen bei wirtschaftlicher Kompetenz an die Grünen denken – und nicht nur, wenn es um Eisbären geht.

Das ist kein Widerspruch. Wir diskutieren ja auch nicht nur um Werte.

Sie fordern in Ihrem Papier, dass die Grünen sich hin zu bürgerlichen Wählerschichten öffnen sollen. Wen meinen Sie?

Das sind Leute, die auf der einen Seite eben diese Werteorientierung haben, auf der anderen Seite aber eine offene Gesellschaft wollen. Sie wollen, dass ihre Kinder anders mit Minderheiten umgehen, als sie es selbst noch erlebt haben. Und dass Mama und Papa im Haushalt gleichberechtigt sind, dass Feminismus als Wert weitergegeben wird.

Vor einigen Jahren haben Sie einen Vorstoß gegen die moralisierenden Achtundsechziger in der Partei unternommen. Wollen Sie jetzt eine Rückkehr zur Moral?

Wir wollen, dass die Leute sich fragen, was zum guten Leben gehört: nur Arbeit und Profit? Für Antworten auf solche Fragen waren die Grünen schon immer zuständig. Deshalb sind wir aber nicht der moralische Zeigefinger.

Sie bezeichnen die Familie in dem Papier, das heute vorgestellt wird, als Wert an sich. Nun ist es ja schon lange her, dass die Grünen die Familie als Hort der Unterdrückung sahen.

Aber zu Recht! Da hat sich in den letzten 20 Jahren viel geändert.

Aber Sie fordern schon seit mehreren Jahren, dass die Grünen eine Familienpartei werden sollen. Haben Ihre Appelle nichts bewirkt? Was ist an Ihrem jetzigen Vorstoß neu?

Die Grünen erkennen damit an, dass die Familie heute Wahlfreiheit bietet. Trotzdem entscheiden sich immer noch vie- le Menschen für die sogenannte traditionelle Kleinfamilie.

Frau Künast hat noch vor ein paar Jahren verstimmt reagiert, als Sie das Hochlied auf die Familie sangen. Inzwischen findet sie selbst, dass die Familie der Ort ist, wo Werte vermittelt werden. Haben Sie sich mit Ihrer Position durchgesetzt?

Es hat in der letzten Zeit bei den Grünen viele Diskussionen darüber gegeben. Ich finde es nach wie vor richtig, dass die Grünen mal die Position vertreten haben, so kann man Familie nicht unterstützen. Und ich finde gut, dass das, was wir damals als Minderheit in der Partei angestoßen haben, Mainstream geworden ist.

Wenn Ihre Position Mainstream ist, wieso brauchen Sie dann einen dritten Flügel neben Realos und Fundis?

Es gibt keinen neuen Flügel. Es gibt ein paar Leute, die miteinander diskutiert haben und das dann aufgeschrieben haben. Das sind alles Leute, die etwa gleich alt sind, so um die vierzig. Das geht aber nicht gegen die Älteren oder gegen sonst jemanden.

INTERVIEW: KATHARINA KOUFEN