Räuchern bis zur Kapitulation

Die Nazis nutzten den Aal als Fettfisch für die Wehrmachtssoldaten, um Devisen für den Krieg zu sparen. Ideologisch aber scheiterten sie – ein Wanderfisch lässt sich nicht von der Schollenpropaganda vereinnahmen

Von Dietmar Bartz

„Fettlücke“ – dieses Wort verbindet die Kriegsplanung der Nazis mit dem Aufschwung der deutschen Aalwirtschaft seit 1933. Um Devisen für Rüstungsimporte zu sparen und das Reich von teuren Fleisch- und Viehlieferungen aus dem Ausland unabhängig zu machen, sollte der Fettbedarf der Bevölkerung mit mehr Fisch gedeckt werden. Auch die einheimische Aalproduktion von jährlich rund 5.000 Tonnen war dafür attraktiv. Denn eine Mahlzeit mit dem Fettfisch konnte den Kalorienbedarf eines Schwerarbeiters decken – und ließ sich ohne Fett zur zubereiten.

Aber das Angebot reichte einfach nicht. So importierte Deutschland während des gesamten Dritten Reichs Aale, vor allem aus Dänemark. Dafür stellte die Finanzverwaltung Devisen zur Verfügung.

Besonders an den vielen Versuchen, die deutschen Fischer mit Aalbrut zu versorgen und damit langfristig die Aalversorgung zu gewährleisten, beteiligten sich Staats-, Partei- und Wehrmachtsstellen. Trotz kritischer Stimmen wurden in der Vorkriegszeit Devisen freigegeben, um die Einfuhr der Fischbrut zu bezahlen. Sie kam aus einer englischen Fangstation, die der Hamburger Fischereidirektor Lübbert hatte einrichten lassen (siehe Text unten). Zudem erlaubten 1938 die Mittel des Vierjahresplans, den Abgabepreis für Aalbrut an die Fischer um 40 Prozent zu senken.

Als die Station in Epney 1939 von der britischen Regierung geschlossen wurde, musste Ersatz her. Ernst Röhler, der zuständige Geschäftsführer im Fischereiverband, konnte statt der Aalbrut ab 1940 zwar große Mengen Jungaale in Dänemark und Holland aufkaufen. Aber solche Tiere sind viel größer als die Brut aus England, und sie waren teurer – eine Finanzspritze des Reichsernährungsministeriums senkte auch hier die Kosten. Die Reichsbahn setzte sogar Spezialwaggons mit Wasserbehältern für die Anlieferung ein. Und 1942 erhielt die Aalversandstelle in Hamburg-St. Pauli, die die Verteilung der Fische abwickelte, sechs weitere Bassins zur Zwischenlagerung.

Für Röhler reichten die vorhandenen Mengen bei weitem noch nicht aus, „um den gestiegenen Anforderungen auch für die Ostgebiete“ nachzukommen. Zudem warteten „die wieder mit dem Reich vereinten Gebiete im Osten und Südosten“ dringend auf das Zuchtmaterial, „und die weiter östlich gelegenen, gewässerreichen Gebiet20357 e werden auch in Zukunft stets Abnehmer von Aalbesatz sein.“ In Abstimmung mit der Wehrmacht versuchte Röhler, allerdings vergeblich, in der Loire-Mündung bei Nantes Aalbrut fangen zu lassen.

Und dann war da noch die „Dresden“, ein 1939 in Hamburg-Harburg gebautes 31 Meter langes Spezialschiff für den Transport lebender Aale. Es sollte „von Griechdes gesamtenenland auf dem See20357 wege die Aale heranbringen, die dann auf dem Landwege nach ihrem Bestimmungsort in Deutschland weiterbefördert werden“, wie die Fischerei-Zeitung schrieb. Was mit der „Dresden“ nach Kriegsausbruch geschah, war bislang nicht zu ermitteln.

Aber der Fisch war für die Nazis nicht nur nützlich, sondern auch ein Ärgernis. „Gute Rasse heißt Heimat haben“, meinte 1934 der Evolutionsbiologe Friedrich Mdes gesamtenerkenschläger. Die Anwendung dieser Devise auf einen Wandedes gesamtenrfisch wie den Aal stellte die Nazi-Ideologen vor ein Problem. Etwas hilflos beschrieb der junge Biologe Karl Heinz Lüling 1940 den Aal als „zigeunerhaft“. Nicht einmal die Wissenschaft könne bisher ein klares Urteil über die Ursachen abgeben, und bis dahin sodes gesamtenlle man erst einmal die Wege solcher Tiere aufzeichnen. Damit aber bekam Lüling doch noch die Kurve: Immerhin stehe das Leben der jungen Aalbrut „im Zeichen jetzt ostwärts gerichteter Wanderungen“.

Damit war es ab Herbstdes gesamten 1944 vorbei. Aus Mangel an Treibstoff fielen immer mehr Fischautotransporte aus, und die Wehrmacht zog die Waggons der Reichsbahn ab. Alle geräucherten oder frischen Aale waren nun für die Wehrmachtslazarette und Krankenhäuser bestimmt. Dort sollten sie als Kraftnahrung für Genesende verwendet werden.

Vor allem aber bemühten sich viele Parteidienststellen, Aale nur noch in die heimischen Räuchereien zu leiten. Flensburg, Rostock und Hamburg hielten so viel Ware zurück, dass Räuchereien in Berlin den Betrieb einstellten. Reichsfischermeister Kühl lenkte eigenmächtig die Anlandungen in Mecklenburg in dortige Räuchereien um. Der Gauleiter von Pommern blockierte die Weiterleitung Rügener Aale, die NSDAP-Kreisleitung Flensburg die dort ankommenden dänischen Aale. Das Kasino der Kanzlei des Führers wollte im Januar 1945 von der Wirtschaftsverwaltung weiterhin Aale speziell aus Kappeln an der Schlei haben, scheiterte mit diesem Begehr aber an den schlechten Verkehrsverhältnissen.des gesamten

Zu den letzten nachweisbaren Aal-Geschäften der NS-Zeit gehörte ein staatlicher Tauschhandel vom März 1945: deutsche Textilien im Werte von 100.000 Reichsmark gegen geräucherte dänische Aale und Fischkonserven für je 50.000 RM. Am 20. April sollte der Vorgang in der Reichsstelle für Fische weiter bearbeitet werden, vermutlich, um den Verbleib der Räucheraale zu überprüfen. Dazu ist es dann nicht mehr gekommen.

taz-Salon im Januar: Der Aal im Nationalsozialismus. Zwischen „Zigeunerfisch“ und „germanischer Delikatesse“. Ein Vortrag mit Lichtbildern von Dietmar Bartz (Journalist und Aalforscher) und Heiko Werning (Zoologe und Schriftsteller), Donnerstag, 11. Januar, 20 Uhr; Kulturhaus 73, Schulterblatt 73, Hamburg. Eintritt: Drei Euro.