„Ich möchte Regeln aufbrechen“

Die 26-jährige Sabrina Milena kommt aus einer Tanzkapellenfamilie und steht auf Plüschpuschen. Aber eigentlich hat sie als Milenasong gerade ihr erstes Album gemacht: deepe LowFi-Folk-Experimente gegen die ewige Strophe-Refrain-Langeweile

VON VERONIKA WALLNER

Sabrina Milena sitzt am Küchentisch ihrer Einzimmerwohnung in Prenzlauer Berg: Ungeschminkt, mit Jogginghose und verstrubbelten schwarzen Haaren summt sie vor sich hin. An ihren Füßen trägt sie riesige schwarze Plüschpuschen, die aussehen wie als Fußwärmer umfunktionierte Kuscheltiere. Kennt man Milenas experimentelle Musik, würde man der 26-Jährigen sofort zutrauen, dass sie ihre Hausschuhe selbst gebastelt hat, aus ehemaligen Lieblingsstofftieren. Und aus Spaß daran, die Funktion gewohnter Dinge spontan zu erweitern. Sie sagt dazu nur: „In Norwegen trägt man so was.“

Milena, die als Musikerin Milenasong heißt, wohnt seit vier Jahren in Berlin. Beim Sprechen gestikuliert sie wild mit den Händen und switcht zwischen den Orten ihres Lebens hin und her. Oft fällt sie vom Deutschen ins Englische. Geboren in Stuttgart zog sie zwölfjährig mit ihrer Familie nach Norwegen. Ihr kroatischer Vater, ein ehemaliger Tanzkapellenmusiker, und ihre nordnorwegische Mutter, ein ehemaliger Tanzkapellenmusikfan, sprachen miteinander englisch, die Kinder deutsch. In Oslo kam noch Norwegisch dazu und heraus Milenas sehr eigener Sprachmix. Es macht Spaß, ihr zuzuhören. Vor allem, wenn sie plötzlich aufspringt und Menschen aus ihrem Leben parodiert, zum Beispiel eine ihrer zahlreichen Professorinnen.

An vier verschiedenen Kunsthochschulen hat sie Kommunikationsdesign studiert, zuletzt in Berlin-Weißensee. Doch immer wieder fühlte sie sich in Grenzen verwiesen, die nicht die ihren waren: „Einmal sollten wir Skizzenbücher anfertigen. Alle kopierten seitenweise aus irgendwelchen Büchern. Ich fand das so unsinnig – und klebte die verbrauchten Kopierkarten meiner Dozentin in mein Buch. Das gefiel ihr aber überhaupt nicht.“

Milena brach das Studium ab, konzentrierte sich ganz auf die Musik – und machte auf ihre Weise mit den Skizzen weiter. Seit mittlerweile sechs Jahren sammelt sie ihre Ideen auf Kassetten, die sie „Skizzenbuch-Tapes“ nennt. An ihrer ersten Aufnahme hängt sie besonders: „Da spiele ich das erste Mal Gitarre und traue mich auch, das allererste Mal zu singen. Die Kassette ist für mich wie ein altes Foto von einem sehr erinnerungswürdigen, originellen Haarschnitt.“

In Berlin lernte Milena den amerikanischen Deep-Folker Jefferson Tarlton bei einem seiner Konzerte kennen. Er organisierte ihre ersten Auftritte. Mit dem Minialbum „Can’t Tape Forever“ bewarb sich Milena 2005 bei verschiedenen Indielabels und landete bei den Frauen von Monika Enterprise. Heute kommt mit „Seven Sisters“ ihr Debüt heraus.

Musik ist für Milena mehr als alltägliche Hintergrundbeschallung, viel mehr: „Musik gibt mir Sinn im Leben. Sie ist ein äußerst starker Ausdruck meiner Gefühls- und Gedankenwelt, Poesie, höchste Sinneswahrnehmung – wie Riechen und Schmecken. Hier kann ich mich ausleben.“ Als musikalisch Gleichgepolte verehrt sie den radikal-innovativen russischen Komponist Arvo Pärt, den britischen Folkmusiker Roy Harper und den Sound-Experimentalisten Matt Elliott.

Wer sich auf die Musik von Milenasong einlässt, betritt ein tief berührendes Universum voll Sehnsucht und wundersamer Sounds. Ihre Lieder brauchen Zeit, um sich zu entfalten. Schließt man aber beim Hören einfach mal die Augen, dann ist es, als würden seltsam filigrane Minigegenstände um einen herum zu musizieren beginnen: sich überlagernd und miteinander spielend. „Dieses ewige Strophe-Bridge-Chorus-Schema langweilt mich“, sagt Milena. „Ich versuche, diese starren Regeln aufzubrechen, Sounds gegeneinanderzusetzen und übereinanderzuschichten, die objektiv gesehen gar nicht passen.“

Und deswegen bearbeitet Milena ihre Gitarren mit Violinbögen, spielt tatsächlich Blockflöte, trommelt und erzeugt wundersame Geräusche mit Keyboard und Mikrofon. Wenn sie dazu singt, klingt ihre Stimme mal nach der einer 45-jährigen Whiskyliebhaberin, mal hell und zerbrechlich wie Eisblumen am Fensterglas. Ihre Texte sind Reiseberichte einer Suchenden und erzählen von der Sehnsucht nach Veränderung. Im Ergebnis ergibt das alles, zusammengefügt im Studio von Tarwaters Bernd Jestram, auf ihrem Album eine Art experimentell-psychedelischen LowFi-Folk.

Auf die Frage, was sie sich für ihre Zukunft wünscht, wippt sie mit ihren Plüschpuschen und antwortet verschmitzt: „Wenn ich mit Hilfe meiner Musik die Miete bezahlen könnte: Das wäre schön.“

Milenasong: „Seven Sisters“ (Monika)