Lehramt inklusiv

STUDIUM Ba-Wü reformiert Ausbildung

Inklusion kommt ohne motivierte und sonderpädagogisch ausgebildete Lehrer nicht voran

TÜBINGEN taz | Die Ablehnung des elfjährigen Henri mit Downsyndrom am Gymnasium im baden-württembergischen Walldorf hat es gezeigt: Viele Schulen fühlen sich schlecht auf die Inklusion behinderter Kinder vorbereitet. In Baden-Württemberg wird zum Wintersemester 2015/16 die Lehrerausbildung reformiert: Alle Lehramtsstudenten müssen sich dann mit Grundfragen der Inklusion befassen, hat die grün-rote Koalition im Dezember 2013 entschieden.

Damit geht der Südwesten voran. Die Kultusministerkonferenz hat erst vergangene Woche beschlossen ihre länderübergreifenden Standards für die Lehrerbildung so anzupassen, das LehrerInnen auch auf den gemeinsamen Unterricht behinderter und nicht behinderter Schüler vorbereitet werden.

Allerdings brauche Baden-Württemberg die Unterstützung des Bundes, sagt Wissenschaftsministerin Theresia Bauer (Grüne). Das Bundesbildungsministerium hat 500 Millionen Euro in den nächsten zehn Jahren für Verbesserungen in der Lehrerausbildung zu verteilen – Bauer rechnet mit 70 Millionen für ihr Land. Das Bundesbildungsministerium hat nun versprochen, dass die Ausschreibungen noch dieses Jahr starten.

Ein weiterer Aufschub könnte den baden-württembergischen Zeitplan für die Einführung des Themas Inklusion in die Lehrerausbildung über den Haufen werfen. Universitäten brauchen dringend Geld für zusätzliches Personal. Thorsten Bohl, Professor für Erziehungswissenschaften an der Uni Tübingen sagt: „Der Personalstand im bildungswissenschaftlichen Bereich mancher Unis ist verheerend.“ Es gebe Standorte mit nur einer Professur.

In Tübingen müssten künftig alle 4.000 Lehramtsstudenten zwei Veranstaltungen zum Thema Inklusion besuchen. „Das können wir nicht aus eigenen Ressourcen stemmen“, sagt Bohl. Eine zusätzliche Professur in der höchsten Besoldungsgruppe W3 koste mit Ausstattung zirka 200. 000 Euro. „Wir warten, wie viele andere Standorte, auf die Ausschreibung der Qualitätsoffensive Lehrerbildung.“

Viele Pädagogische Hochschulen (PH) in Baden-Württemberg sind besser vorbereitet. Allerdings gibt Bohl zu bedenken, dass es nicht nur um die Inklusion von Kindern mit sonderpädagogischem Förderbedarf, sondern auch um Schüler mit Hochbegabung gehe.

Der aktuelle Bericht „Bildung in Deutschland 2014“, den die Kultusministerkonferenz am Freitag veröffentlichte, bestätigt den von Baden-Württemberg eingeschlagenen Weg. Inklusion komme nicht von der Stelle ohne motivierte und sonderpädagogisch ausgebildete Lehrer, die gewillt sind, mit leistungsmäßig durchmischten Schülergruppen zu arbeiten, bilanzieren die wissenschaftlichen Autoren.

LENA MÜSSIGMANN