Neue Macht, alte Machthaber

TUNESIEN In der Übergangsregierung erhalten Vertreter des korrupten alten Regimes die wichtigsten Posten. Hunderte Demonstranten verlangen die Fortsetzung der Revolution

TUNIS taz | Tunesiens neue Übergangsregierung gleicht in Teilen dem alten Regime. Sechs Günstlinge aus der Machtclique des gestürzten Präsidenten Ben Ali bleiben in Amt und Würden. Darunter befinden sich der Ministerpräsident Ghannouchi sowie der Außen-, Verteidigungs- und der Innenminister. Insgesamt umfasst das Kabinett 19 Minister.

In mehreren Städten protestierten gestern Menschen für eine Fortsetzung der Revolution. Sie forderten die Auflösung der Partei des gestürzten Präsidenten Ben Ali. „Die Revolution geht weiter“, skandierten Demonstranten in Tunis bei zwei Kundgebungen mit mehreren hundert Teilnehmern. Die Polizei löste die Kundgebungen mit Wasserwerfern und Tränengas auf. Proteste gab es auch in Sidi Bouzid und Regueb. „Wir können von Wasser und Brot leben, aber nicht mit der RCD“, riefen Demonstranten in Regueb.

Der Übergangsregierung gehören erstmals drei Oppositionspolitiker an. Ein Informationsministerium soll es nicht mehr geben. Es war als Propagandamaschine in der Bevölkerung verhasst. Die neue Regierung beschloss als eine ihrer ersten Amtshandlungen, sämtliche politischen Gefangenen freizulassen. Zudem soll so schnell wie möglich untersucht werden, ob bislang verbotene Parteien legalisiert werden können. Nach der gültigen Verfassung muss das Kabinett innerhalb der nächsten 60 Tage Parlaments- und Präsidentschaftswahlen einleiten.

Als erster Bewerber um die Nachfolge des geflüchteten Präsidenten hat sich der frühere Chef der Menschenrechtsliga, Moncef Marzouki, gemeldet. Das Land erlebe derzeit ein Paradox, sagte er: „Tunesien hat den Diktator verjagt, aber die Diktatur ist noch da.“

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