Kekse für den Weihnachtsmann

Wenn schlichte Trostworte nicht mehr reichen, müssen Sozialpädagogen ran. Andere Briefe gibt er dem Bürgermeister oder der Polizei: Wolfgang Dipper, Weihnachtspost-Beantworter im niedersächsischen Himmelpforten, bekommt jährlich rund 38.000 Briefe. Und er beantwortet beileibe nicht alle selbst

INTERVIEW: PETRA SCHELLEN

taz: Herr Dipper, wie viele Briefe bekommen Sie jährlich? Und wann kommen die ersten?

Wolfgang Dipper: Wir haben im vorigen Jahr 38.600 Briefe bekommen. Die kommen das ganze Jahr über. In diesem Jahr hatte ich Anfang Oktober schon 500 Stück hier liegen. Die meisten schreiben aber ab Mitte November.

Was steht in den Briefen?

90 Prozent der Kinder äußern materielle Wünsche. Viele wünschen sich den Weltfrieden. Andere wünschen, dass die Eltern aufhören zu rauchen oder zu trinken. Auch Scheidungen, Krankheiten und Todesfälle sind wichtige Themen.

Beantworten Sie wirklich jeden Brief individuell?

Nein. Auf die normalen Wunschbriefe antworten wir mit einem Standardbrief, der jedes Jahr neu verfasst wird. Das ist diesmal eine kleine Geschichte mit Bastelbogen. Die nicht-materiellen Briefe versuchen wir selbst zu beantworten, meine Frau und ich. Manche Briefe geben wir an den Bürgermeister weiter – oder an Sozialpädagogen. Wir haben auch schon Briefe an die Polizei gegeben. In einem Fall von Kindesmisshandlung etwa – da hatte uns eine verzweifelte Großmutter geschrieben.

Und welche Briefe geben Sie den Sozialpädagogen? Die Briefe der Scheidungskinder?

Ja, oder solche, die von schweren Krankheiten handeln, bei denen wir nicht wissen, was wir schreiben sollen. Wir hatten zum Beispiel schwere Neurodermitis-Fälle, bei denen einfache Trostworte nicht gereicht hätten.

Welche Briefe bekommt der Bürgermeister?

Zum Beispiel den von einen ehemaligen Bürger aus Himmelpforten, der nach Russland auswanderte, um armen Kindern zu helfen. Jetzt ist er selber pleite und möchte zurück, weiß aber nicht, wohin er sich wenden soll. Da hat er eben an den Weihnachtsmann geschrieben.

Wie viele Briefe beantworten Sie persönlich?

Im letzten Jahr waren es 120. Dazu kommen noch einige bei denen wir ein paar nette Worte dazuschreiben – zum Beispiel, weil das Kind Geburtstag hat. Oder wenn es ein kleines Geschenk mitgeschickt hatte, für das wir uns bedanken.

Bestechungsgeschenke?

Nein. Die Kinder wollen einfach, dass der Weihnachtsmann auch mal ein Geschenk bekommt.

Arbeiten Sie eigentlich ganzjährig als Weihnachtsmann?

Nein. Ich arbeite im Reklamationsmanagement der Deutschen Post. Die Weihnachtsbriefe beantworte ich nur fünf Wochen im Jahr – von Ende November bis Ende Dezember.

Wo tun Sie das? Sitzen Sie im roten Mantel an einem Weihnachtsmann-Schreibtisch?

Die Gemeinde Himmelpforten hat hierfür eine Villa angemietet. Da arbeiten meine 24 Helfer und ich. Ohne rote Mäntel. Ich hole die Post um 7.30 Uhr vom Zustellstützpunkt und sortiere sie. Die anderen lesen die Briefe und adressieren die Antworten – montags bis freitags von 9 bis 12 und von 14 bis 17 Uhr. Mein eigener Arbeitstag ist oft lang. Gestern war ich um 22.30 Uhr fertig – zumal ich oft Briefe mit nach Hause nehme, um sie in Ruhe zu bearbeiten.

Aus welchen Ländern schreiben die Kinder?

Meistens aus Europa, in diesem Jahr verstärkt aus Italien. Warum, weiß ich nicht. Im vorigen Jahr kamen viele Briefe aus Sri Lanka. Da hatte es wohl eine Fernsehsendung gegeben. Die meisten – Schüler, die das Thema im Deutschunterricht durchgenommen haben – schreiben übrigens auf Deutsch.

Wie sind Sie an diesen Job gekommen?

Durch Zufall. Ich habe 1975 beim damaligen Postamt in Himmelpforten meine Lehre begonnen – bei Herrmann Bardenhagen, der die Weihnachtspost 36 Jahre lang beantwortet hat. Vor vier Jahren bin ich nach Hamburg versetzt worden, und da hat mich eine Kollegin gefragt, ob ich Bardenhagens Nachfolger werden wolle. Da habe ich spontan ja gesagt.

Wird der Job auf die Dauer nicht langweilig? Eigentlich steht doch in den Briefen immer dasselbe.

Inhaltlich ist es oft dasselbe, das stimmt. Andererseits ist jeder Brief anders. Es macht mir einfach Spaß, Kindern die Adventszeit ein bisschen zu verschönern.

Man könnte jetzt sagen: Es gibt doch gar keinen Weihnachtsmann. Warum soll man solchen Aberglauben befördern?

Kurze Gegenfrage: Glauben Sie an Gott?

Tja, also …

Sehen Sie? Es gibt eben Dinge zwischen Himmel und Erde, die man nicht erklären kann, die aber da sind. Und warum soll man eine Illusion zerstören?

Fragen die Kinder auch nach Details aus dem Weihnachtsmann-Leben?

Natürlich. Manche schicken ganze Fragenkataloge.

Dann frage ich jetzt mal: Wo wohnt der Weihnachtsmann?

Zurzeit in Himmelpforten.

Manche behaupten ja, der wohne in Grönland oder Norwegen.

Das stimmt bedingt. Denn außerhalb der Saison wohnt der Weihnachtsmann am Nordpol. Das sagt jedenfalls die Überlieferung.

Aber Sie haben doch dichterische Freiheiten.

Sicher. Aber man muss aufpassen, dass man nicht jedes Mal etwas anderes erzählt – dass man den Rentieren zum Beispiel immer denselben Namen gibt …

Wie heißen die denn?

Ich kann mir immer nur zwei merken – den „Rudolph“ und den „Tänzer“. Dazu schreibe ich dann, dass ich in meinem Alter sehr vergesslich bin und noch mal nachsehen muss.

Verstehe. Wie alt ist der Weihnachtsmann eigentlich?

Auch das hat er vergessen.

Und wie wohnt er? Allein oder in einer WG?

Er wohnt mit seiner Weihnachtsfrau zusammen, und die Wichtel und Elfen sind drumherum.

Und haben die auch Kinder?

Ja.

Viele?

Eine Handvoll.

Wie geht der Weihnachtsmann mit dem Altern um? Kommt er damit gut klar?

Da hat er sich noch keine Gedanken drüber gemacht.

Und wenn er vergesslich wird: Macht er sich keine Sorgen um seine geistige Fitness?

Weiß nicht. Aber vielleicht sollte er vorsichtshalber täglich eine Flasche Biovital zu sich nehmen.

Ist er manchmal krank?

Ja, manchmal ist er verschnupft oder hat’s im Rücken …

Oje, oje …

Ja. Aber Heiligabend ist er wieder fit.