Kühe muhen anders in der Mongolei

FESTIVAL Bei „Crossing Identities“ wird die Kultur der Mongolei und der rasante soziale Wandel in dem Nomadenstaat vorgestellt. Im Prolog zu dem Festival dieses Wochenende im Radialsystem durfte man sich seminomadisch durch das Berliner Brachland bewegen

Man schlenderte auf der Köpenicker Straße und hörte dabei, wie in der mongolischen Steppe eine Kuh gemolken wird

VON HELMUT HÖGE

„Crossing Identities“ ist der Titel eines Festivals, das ein künstlerisches Team um die Theaterwissenschaftlerinnen Corinna Bethge und Bayarmaa Munkhbayar organisiert, als ein „interdisziplinäres Brainstorming“ zu „Urban Nomads / Mongol Citizens“. Ein Festival zur Kunst und Kultur der Mongolei also und zu dem rasanten sozialen Wandel in dem zentralasiatischen Nomadenstaat. Es findet dieses Wochenende in der ehemaligen Abwasser-Pumpstation an der Spree – im Radialsystem – statt.

Als Prolog gab es mit „Dream Cities“ und „Waste Land“ Anfang dieser Woche zwei von der Berliner Komparatistin Berit Schuck drumherum angelegte Parcours. Dabei ging es vornehmlich durchs Berliner Brachland, das gerade eine seminomadische Zwischennutzung erfährt – und als solches identitär ausgewiesen ist: mit Namen wie Mörchenpark, Teepeeland, Prinzessinengärten und Spreeacker.

In nomadischen Städten

Auf einer Brache ohne Namen, neben dem Berghain, hatte Berit Schuck einen Wohnwagen als Infostand und Vorführraum hingestellt. Alles in allem wurden „Zwölf Stationen. Drei Stunden in nomadischen Städten“ versprochen.

Den ersten Parcours musste man zu zweit absolvieren, ab U-Bahnhof Heinrich-Heine-Straße, und sich für ein Hörstück von Christoph Rothmeier das Abspielgerät teilen. Nachdem man derart an der ersten Station, dem Hackertreff C-Base, in dem ein Film über das „Chaostreffen 2011“ lief, verbandelt wurde, schlenderte man auf der Köpenicker Straße am Kraftwerk Mitte vorbei – und hörte dabei, wie in der mongolischen Steppe eine Kuh gemolken wird, das heißt, wie die Milch in den Eimer spritzt. Ab und an muhte die Kuh dazu (übrigens ganz anders als „unsere“ Kühe).

Im Teepeeland hatte Timea Anita Oravecz in einem der Bootsschuppen dort eine „Camera obscura mit Soundscape“ installiert, die das Treiben im Mörchenpark auf der anderen Uferseite auf den Kopf stellte. Dort angekommen, sah man den dann noch einmal richtig herum durch ein Loch im Zaun: Der Mörchenpark hat noch nicht geöffnet.

In einer Jurte auf dem Gelände des Radialsystems erzählten unter anderem Stadtplanungs-Studenten der Technischen Universität videogestützt, was sie bei ihrer Feldforschung in den Jurtensiedlungen der mongolischen Hauptstadt Ulan Bator herausgefunden haben. Draußen am Zaun und am Ufer hatten Mareike Günsche und Sven Zellner großformatige Fotos aufgehängt: Die in Ulan Bator lebende Fotografin zeigte Künstlerporträts von dort, der aus München stammende Filmer und Fotograf hängte eine Serie über das „Nachtleben der Neureichen“ auf und hatte daneben noch eine Bildreihe von mongolischen „Ninjas“ (illegalen Goldsuchern) als Kontrast in petto.

Auch ansonsten wird es keinen Mangel an Bildern bei dem heute am Freitag startenden „Crossing Identities“-Festival geben: von Ulrike Ottingers Filmen „Jeanne d’Arc of Mongolia“ und „Taiga“ über Benj Binks’ Doku über die Hip-Hop-Szene Ulan Bators bis zu Fotos und Klängen des Mongoleireisenden Jens Rötsch und Grafiken von mehr als 20 mongolischen Künstlern.

Auch an Tönen fehlt es nicht, teilweise verbunden mit Tanz. Unter dem bescheidenen Titel „Noise“ versuchen zum Beispiel europäische und mongolische Musiker zusammenzuspielen. Daneben gibt es noch die Folk-Band Domog und auch die Sängerin Urna Chahar-Tugchi, die man vielleicht aus dem Film „Das Lied von den zwei Pferden“ kennt.

Dazwischen finden mehrere Workshops von Kulturwissenschaftlern der mongolischen Staatsuniversität statt, es geht dabei um Tanz, Gesang und Malerei. Eine „kulturpolitische Konferenz“ diverser Mongolei-Foren und -NGOs wird sich der Frage widmen, ob die umherziehenden Viehzüchter des Landes, denen die US-Entwicklungshilfe und die mongolische Regierung „Sesshaftigkeit“ (Farming) verordnen wollen, trotzdem überleben können. Und ob es hier im Westen inzwischen – umgekehrt – einen Zwang zum Nomadisieren gibt – oder gar einen Hang, etwa in Wohnwagen und Jurten zu ziehen. Dazu bietet die Künstlerin Tsendpurev Tsegmid ein „Partizipationsprojekt“ an: „Strangers Becoming Friends“.

■ „Crossing Identities“, 13.–15. Juni im Radialsystem, Holzmarktstraße 33. Tagesprogramm 5 €, Abendprogramm 15/10 €