Das Herz war dreimal so groß

PFERDE UND FILME Die Karlshorster Trabrennbahn feiert ihren 120. Geburtstag – unter anderem mit einem Festival des Pferderennfilms

Nele Saß erwähnt die Kampfwagenszenen in „Ben Hur“: Etliche Pferde und der Produzent starben dabei

Seit der Großen Depression weiß man: Je mieser die Jobaussichten, desto mehr wird gewettet. Auf den Pferderennbahnen befindet sich dann auch ein – gerade für kritische Kulturschaffende – interessantes Milieu.

Die Karlshorster Trabrennbahn war 1945 eines der ersten Kulturangebote, das der sowjetische Berlinkommandant Nikolai Bersarin wieder eröffnen ließ. Die Berliner quittierten das dankbar und in Massen – bis das Fernsehen kam, wie die dortige Geschichtswerkstatt herausfand. Dessen ungeachtet wurden auf der Trabrennbahn weiterhin Beiträge für die Kinowochenschau „Der Augenzeuge“ gedreht, daneben sozialkritische Dokumentationen und ein „Polizeiruf 110“-Krimi.

2004 kaufte der Pferdesportpark Berlin-Karlshorst e. V. die Anlage und organisierte „Renntage“ – seitdem steigen wieder die Wettumsätze. Daneben organisierte der Verein zwei Ausstellungen: eine über den Tölt, eine Gangart des Islandpferds. Eine andere über isländische Literatur, parallel zu einer „Islandpferde-Weltmeisterschaft“ auf der Trabrennbahn.

Derzeit läuft ein Pferderennfilmfestival in Karlshorst, zusammengestellt von der Filmhistorikerin Nele Saß. Vorab erklärte sie ihr Auswahlprinzip anhand von Filmausschnitten: Beim Genre „Pferderennfilm“, mit dem die Filmgeschichte begann, unterschied Nele Saß sechs Themen:

1. das kriminelle Milieu: Dazu läuft ein Film von Stanley Kubrick, in dem es um einen Überfall auf eine Wettkasse geht.

2. Superrennpferde: Um das „schnellste Rennnpferd aller Zeiten“ geht es in dem Film „Seabiscuit – Mit dem Willen zum Erfolg“. Seabiscuits Siegrennen verfolgten 1938 mehr als 40 Millionen Amerikaner am Radio. Nele Saß zeigte ferner Ausschnitte aus dem Film „Secretariat – Ein Pferd wird zur Legende“ (1989), dabei geht es um die Nummer zwei der besten US-Rennpferde, das ein dreimal so großes Herz wie normale Pferde hatte. Dazu läuft auch ein Babelsberger Animationsfilm: „Rising Hope“ von Milen Vitanov.

3. Pferdeschindereien, bei denen es jedoch um höhere Werte geht: um Männerfreundschaften. Hierzu werden zwei Filme von Francis Ford Coppola gezeigt – über einen schwarzen Hengst, der im islamischen Reitermilieu spielt. Nele Saß erwähnte nebenbei die Kampfwagenszenen in „Ben Hur“: Dabei starben etliche Pferde und auch der Filmproduzent, vor Aufregung.

4. „Tierschutzfilme“. Dazu fand sie den russischen Spielfilm „Kleine Leidenschaften“ von Kira Muratova, in dem zwei Schauspielerinnen darüber streiten, was artgerechter ist für ein Pferd: „Zirkus oder Rennbahn?“ Ein weiterer Filmausschnitt zeigt den Dichter Wladimir Wyssozki, der in einem Lied sein Leben mit dem eines Rennpferds vergleicht, dass sich zu Tode galoppiert. Und so geschah es ihm dann auch tatsächlich.

5. „Lokale Rennbahnereignisse“ – Hierzu stellte Nele Saß mit der Geschichtswerkstatt Filmmaterial über die Karlshorster Rennbahn aus 100 Jahren Wochenschauen zusammen. Die Westberliner Trabrennbahn Mariendorf kommt im Dokumentarfilm „Gedächtnis“ von Otto Sander und Bruno Ganz vor.

6. „Sozialistischer und kapitalistischer Realismus“: In der Dokumentation „Sieg oder Platz“ porträtierte Tanja Hamilton (West) das Karlshorster Rennbahnpersonal. Im Kurzfilm von Petra Tschörtner (Ost) weiß eine Rentnerin am Wettschalter über die Sucher des „schnellen Glücks“: „Reich ist hier noch niemand geworden. Das Geld bringen ja die Außenseiter.“ Und ein Besucher meint: „Das Fluidum gefällt.“ Deswegen geht er gern auf die Trabrennbahn. HELMUT HOEGE

■ Die Filme laufen noch bis zum 19. 6. im Kulturhaus Karlshorst und im „Racing-Club“