Einfach den Mund aufmachen

Chorprobe II: Der Hans-Beimler-Chor ist eine der letzten politischen Gesangsgruppen. Seine Auftritte sind laute Gesellschaftskritik. Heute besingt er Beimlers 70. Todestag

Die Nikodemuskirche in Neukölln wirkt evangelisch-nüchtern: die Wände weiß, außer den Orgelflöten und einem vier Meter großen Kreuz aus hellem Holz deutet wenig auf ein Gotteshaus hin. Fünf Frauen stehen, in ihre Noten vertieft, im Halbkreis um ein Klavier. Es ist still. Dann spielt die Chorleiterin eine Melodie an, und der Gesang der fünf erfüllt die Kirche: „Küsst die Faschisten!“ Einige Minuten später ist die Runde um das Klavier auf 20 Sängerinnen und 11 Sänger angewachsen. Gemeinsam intonieren sie kraftvoll: „Küsst die Faschisten, wo ihr sie trefft!“

Wie jeden Dienstagabend feilt der Hans-Beimler-Chor an seinem Repertoire. Es besteht vor allem aus Arbeiter- und linken Kampfliedern. Auch vertonte Tucholsky-Texte gehören dazu – „Küsst die Faschisten“ etwa ist ein ironischer Kommentar zum Deutschland des Jahres 1931. Dieser Dienstagabend aber ist besonders. Es ist Generalprobe für die Gedenkfeier zum 70. Todestag des Namenspatrons. Am 1. Dezember 1936 wurde der frühere KPD-Reichstagsabgeordnete Hans Beimler im spanischen Bürgerkrieg erschossen; er hatte bei den Internationalen Brigaden gekämpft. In drei Tagen ist der Auftritt des Chors. Noch klappt nicht alles auf Anhieb.

Der Hans-Beimler-Chor ist ein Überbleibsel aus einer vergangenen Zeit. Chöre mit politischem Anspruch und Liedgut sind heute selten. Stadtweit gebe es davon höchstens noch eine Handvoll, sagt Thomas Bender vom Chorverband Berlin. Die Gesamtzahl der Chöre schätzt er auf 1.250, mit über 40.000 SängerInnen. „Wir sind Menschen, die ganz bewusst in einem politischen Chor singen möchten – und nicht in einem Gesangsverein, der nur Jäger- und Schöne-Landschaft-Lieder singt“, sagt Birgit L.

Seit 1985 gehört sie zum Hans-Beimler-Chor. Damals war der noch Teil des Jugendverbands der Sozialistischen Einheitspartei Westberlins (SEW), L. war Parteimitglied. Die SEW verstand sich als dritte kommunistische Kraft in Deutschland neben der ostdeutschen SED und der westdeutschen KPD. „Meinen Namen möchte ich lieber nicht in der Zeitung sehen“, sagt die 49-Jährige. Sie glaube zwar nicht, dass sie wegen ihrer Vergangenheit noch etwas zu befürchten hätte, aber man wisse ja nie. „Die SPD hat 1972 einen Radikalenerlass verabschiedet, der ‚verfassungsfeindliche Kräfte‘ vom öffentlichen Dienst fernhalten soll. Das bleibt hängen.“ L. arbeitet dort.

Obwohl keine Parteibindung mehr besteht – die SEW ging mit der DDR unter –, versteht sich der Chor weiter als politische Institution. Ideale wie Gleichheit und Hierarchielosigkeit sind für die Sängerinnen und Sänger selbstverständlich. „Was in der traditionellen linken politischen Kultur gut und schön ist, pflegen wir gerne weiter“, heißt es auf der Homepage des Chors.

Beimler treu geblieben

Diskussionen sind Teil dieser Kultur. In den Wendejahren etwa wurde über eine Umbenennung diskutiert, Grund war der fehlende Musikbezug des Namengebers. Doch auf den „Umbenennungszug“ wollten sie dann doch nicht aufspringen, sagt Birgit L. Es reiche doch, dass die Hans-Beimler-Straße in Prenzlauer Berg umbenannt worden sei. Und eigentlich, fügt sie hinzu, „wurde ja die ganze DDR umbenannt.“ Der Chorname sollte bleiben. Als Absage an die politische Gleichgültigkeit.

Für Maria Goger war der politische Anspruch ein Grund, dem Chor beizutreten. Seit Anfang 2005 singt die 53-jährige Bibliothekarin in der Altstimme. „Wirklich unpolitisch ist keines unserer Konzerte“, erklärt sie – selbst wenn eines, wie kürzlich, unter dem Motto „Liebe und andere Seiten“ stünde.

„Das Private ist immer auch politisch“, ergänzt L. Bei einem Konzert gegen Fremdenfeindlichkeit zum Beispiel hätten sie einfach ein bayerisches Volkslied gesungen. „Die bayerische Mundart auf einer Berliner Bühne – das hatte Komik.“ L. lacht. „Da hat man gemerkt: Deutsche können auch ganz schön fremd klingen.“ MARKUS WANZECK