„Radikale Alternativen sind gerade attraktiv“

Die grüne Landeschefin Schneckenburger kritisiert vor dem heutigen Parteitag ein bedingungsloses Grundeinkommen

taz: Frau Schneckenburger, heute startet ihr Bundestreffen der Grünen in Köln, ein großes Thema ist das Grundeinkommen. Was wollen die NRW-Grünen?

Daniela Schneckenburger: Wir haben in NRW noch keine Entscheidung: Teile der Partei setzen auf das bedingungslose Grundeinkommen, andere auf die grüne Grundsicherung. Zum Beispiel hat die grüne Jugend einen Beschluss zum Grundeinkommen gefasst. Es gibt keine abschließende Meinung – aber alle Kreisverbände diskutieren.

Welches Konzept finden Sie denn am Besten?

Ich finde die Idee eines bedingungslosen Grundeinkommens ausgesprochen unscharf. Sie löst die Probleme von Hartz IV nicht. Klar ist: Hartz IV hat die Armut von vielen Menschen verschärft. Wir Grünen sind mit diesem Gesetz nie glücklich gewesen...

...obwohl sie es selbst beschlossen haben.

Wir haben das als Kompromiss mitgetragen, waren uns der Probleme aber bewusst. Der Haken an Hartz ist vor allem der Aspekt des Forderns und damit der Repression, der mit dem Gesetz verbunden ist. Es macht eben keinen Sinn, Arbeitsfähigkeit zu überprüfen, wenn keine Jobs da sind.

Repressionsfrei – das kann bedingungsloses Grundeinkommen bedeuten, oder?

Aber um welchen Preis? Ich halte diese Idee, wie auch Teile der Gewerkschaften, für eine Stilllegungsprämie, die endgültige Resignation vor der Arbeitslosigkeit. Völlig absurd würde es, wenn – wie in manchen Konzepten gedacht – das Grundeinkommen jeder erhalten soll. Denn warum soll jemand ein Existenzminimum kriegen, der ein hohes Einkommen oder Vermögen hat?

Ein Befürworter des Konzeptes, der dm-Chef Götz Werner, sagt: Wenn alle Menschen diese Absicherung haben, können sie sich frei entfalten, kreativ werden, sinnvoll arbeiten.

Das ist eine sehr idealistische Sicht. Machen wir uns nichts vor: In dieser Gesellschaft ist Arbeit, vor allem bezahlte Arbeit, für viele Menschen sinnstiftend. Nicht jeder Mensch hat die Fähigkeit, aus sich selbst heraus eine Betätigung zu finden.

Also müssen die Menschen doch mehr gefordert werden, wie es Hartz vorsieht?

Zwang zur Vermittlung in Arbeit macht keinen Sinn, wenn es keine Arbeit gibt. Aber: wir dürfen den Menschen nicht die Möglichkeit verbauen, dass sie wieder Arbeit finden können. Und darum brauchen wir weiter aktive Arbeitsmarktpolitik und Qualifizierungsmöglichkeiten für langzeitarbeitslose Menschen.

Wo unterscheidet sich dieses Konzept von Hartz?

Menschen ohne Arbeit brauchen mehr als Heizung, Kleidung und Essen. Sie müssen auch am gesellschaftlichen Leben teil nehmen können, ihr Kind zum Beispiel ein Instrument spielen lassen. Das Einkommen muss höher sein als das jetzige Arbeitslosengeld II.

Sie sehen das Grundeinkommen skeptisch, mittlerweile wird es aber auch in allen anderen Parteien diskutiert. Könnte das Thema den Grünen verloren gehen?

Nein: Gerade weil CDU und FDP die Idee gut finden, nährt sich mein Verdacht, dass am Ende weniger für die Menschen heraus kommt. Ich verstehe aber die Stimmung in der Partei: Seit 25 Jahren sucht dieses Land Wege aus der Arbeitslosigkeit, ohne Erfolg. Da sind radikale Alternativen attraktiv. Im Sommer treffen wir auf dem Landesparteitag eine Entscheidung darüber. Das ist ein heißes Thema für uns.

INTERVIEW: ANNIKA JOERES