Lieder über Zensur

Am vergangenen Wochenende tagte in Istanbul die 3. Freemuse World Conference über Zensur in der Musik

In Simbabwe spielen Radio-DJs bis zu 72-mal am Tag das gleiche Lied: Es gibt eben nicht viele singende Minister

Es kommt vor, dass die türkischen Behörden sich verhören. Bei Ferhat Tunc tun sie das vielleicht ein bisschen mit Absicht. „Tekrardan merhaba!“, hatte der Liedermacher seinem Publikum zugerufen – ein „Hello Again!“ in schönster Howard Carpendale’scher Manier. Aber die anwesenden Zivilpolizisten waren sich sicher, „PKK merhaba!“ gehört zu haben, da konnte sie auch kein TV-Mitschnitt vom Gegenteil überzeugen. Ferhat Tunc saß acht Tage in Untersuchungshaft. Das war 2003.

Im Grunde geht das so, seitdem Ferhat Tunc 1985 aus Deutschland in sein Heimatland zurückkehrte: Konzertverbot für die gesamte kurdische Region bis 1999, von der Polizei unterbrochene Konzerte in anderen Teilen der Türkei, Verhöre, verprügelte Konzertveranstalter, gewalttätige Attacken durch Polizisten und Soldaten, in den letzten Jahren zumindest noch ständige Anklagen und ewig laufende Prozesse: Der kurdisch-alevitische Musiker kann viele Lieder singen über das, was man so lapidar „Zensur“ nennt.

Ferhat Tunc war nur einer von vielen, die am vergangenen Wochenende bei der „3. Freemuse World Conference on Music & Censorship“ in Istanbul auf die Bühne traten, um Erfahrungen zu teilen. Eine ganze Reihe türkischer und kurdischer Musikerinnen und Musiker berichteten außer ihm von der „Tragikomik“ der Zensur in der Türkei. Die war in den Jahren nach dem Militärputsch 1980 in besonderem Maße spürbar, zog sich in abgeschwächter Form durch die Neunzigerjahre und setzt sich, im Zuge der EU-Beitrittsverhandlungen zwar nochmals gelockert, trotzdem bis heute fort. Aus den Achtzigern hörte man von zusammengeschossenen Kassetten, von inhaftierten Bandkollegen, von den schwarzen Listen des Staatssenders, von gefolterten Fans, von Zwangsexil und von angeklagten Labelmachern.

Seit 2002 ist das Singen in kurdischer Sprache in der Türkei nicht mehr verboten. Kurdische Musiker können de jure heute überall auftreten. Aber häufig macht die nationalistisch gefärbte Staatsideologie, die weiterhin fast paranoide Angst vor kurdischem Separatismus schürt, den Verbreitungs- und Auftrittsmöglichkeiten von Musikern einen Strich durch die Rechnung. Ein Mitglied der Band Grup Yorum, die als überzeugte Linke auch in Kurdisch und Armenisch singen, sitzt seit Jahren und bis heute noch im Gefängnis. Das halbstaatliche Prüfungsstelle für Radio und Fernsehen kann die Verbreitung eines Albums aus vielen Gründen verbieten: Verunglimpfung des Türkentums, Unterstützung terroristischer Vereinigungen, Separatismus, obszöne Texte.

Ein wenig Selbstzensur liegt für einen Musiker, der von seiner Musik leben will, da oft nahe. Genauso handeln Konzertveranstalter, die weder den Zorn nationalistischer Polizeibataillone noch religiös-konservativer Kreise in Anatolien auf sich ziehen wollen. In anderen Ländern dieser Welt sind die Probleme längst sehr viel manifester als in der Türkei, wo die Freemuse-Veranstaltung zum Anlass genommen wurde, eine Anti-Zensur-Initiative („Sanatta Sansüre Son“) zu gründen. Afghanistan, Indonesien, Weißrussland, die Elfenbeinküste, Simbabwe, dem Mittleren Osten, China und Algerien waren die anderen Konferenzpanels gewidmet. Seit 1998 kümmert sich die internationale Organisation Freemuse von Kopenhagen aus um die Belange verfolgter und zensierter Musiker. Die diesjährige Freemuse-Konferenz – nach zweimal Kopenhagen jetzt die Premiere in Istanbul – bewies, was zu erwarten war: Vor allem undemokratisch agierende Machthaber fürchten das Potenzial von Musik und schränken die Kunstfreiheit ein.

Aber nicht nur rechtliche und polizeiliche Maßnahmen bedeuten „Zensur“. Beredt legten fast alle Konferenzteilnehmer auch Zeugnis davon ab, wie komplex das Phänomen wird, wenn durch Internalisierung Selbstzensur greift: wenn in vorauseilendem Gehorsam Lyrics nicht geschrieben, Stücke nicht aufgelegt, Lieder nicht gesendet werden. In Afghanistan zum Beispiel, so klärte ein Panel auf, ist Musikfernsehen seit dem Sturz der Taliban erlaubt. Trotzdem lassen die dortigen Redakteure Madonna-Videos lieber nur als Audiospur laufen. Erst kürzlich wurde eine 24-jährige Musikjournalistin getötet, die für ein Programm mitverantwortlich war, das auch westlicher Popmusik ein Forum gab. In Mugabes Simbabwe spielen Radio-DJs bis zu 72-mal am Tag das gleiche Lied: Es gibt eben nicht so viele Alben, auf denen die Minister selbst regimetreue Lieder singen. In Weißrussland hat der Rundfunk Weisung, der streng prorussischen Linie von Präsident Lukaschenko zu folgen. Nur die Opposition singt noch in Weißrussisch – ohne große Chancen, außerhalb von illegalen Clubs gehört zu werden.

Am Ende der Konferenz griffen einige der in ihrer Heimat mit Schwierigkeiten kämpfenden Musiker spontan zu Instrument und Mikrofon: Es gab Antikriegslieder eines US-Irakers, algerischen Exil-Rap und Human-Rights-Reggae von der Elfenbeinküste. Nicht wenige hatten Tränen in den Augen. Auch wenn der Anlass so wenig rührselig war, die Rührung über die geteilte Solidarität war ein kleiner Moment guter Politik.

KIRSTEN RIESSELMANN

Mehr Infos und spezielle Länderreports: www.freemuse.org