Last Call Tempelhof

Mobilisierung und Diskussionen bis zur letzten Minute: Die Initiative THF 100 will am Sonntag den Senat besiegen. Doch nicht alle Berliner*innen dürfen mit abstimmen

Samstag, 24. Mai

Symbolisches Wahllokal für alle Berliner*innen: hier über den Volksentscheid Tempelhofer Feld, die Europawahl und die Ausweitung des Stimmrechts abstimmen. 13 Uhr, Eingang Oderstraße Ecke Herrfurthstraße

Anschließend Demo auf dem Tempelhofer Feld, 16 Uhr

www.wahlrechtfueralle.cc

Ebenfalls am Samstag: Diskussionsrunde zum Tempelhofer Feld im Babylon, 18.40 Uhr, im Anschluss Konzerte, Dresdener Straße 126

Weitere Infos: www.thf100.de

Drei Tage vor der Abstimmung über die Zukunft des Tempelhofer Feldes gibt der Verein „100 % Tempelhofer Feld“ (THF 100) noch einmal alles, um die Berliner*innen für seinen Gesetzesentwurf zu mobilisieren. Das Engagement ist notwendig, denn auch der Gesetzesentwurf des Senats steht zur Wahl. Nun gilt es für die Aktivist*innen von THF 100, mehr Stimmen für den eigenen Entwurf zu gewinnen. Außerdem muss es gelingen, mindestens ein Viertel aller Wahlberechtigten Berlins an die Wahlurnen zu bekommen – das entspricht 625.000 Stimmen. An diesem Quorum scheiterte zuletzt der Berliner Energietisch. Da die kommende Abstimmung aber am Tag der Wahl zum Europa-Parlament stattfindet, dürfte es eine ausreichende Wahlbeteiligung geben. Auch deshalb sieht man bei THF 100 selbstbewusst nach vorn: „Die Berlinerinnen und Berliner wollen über die Zukunft von Tempelhof mitentscheiden“, sagt Aktivistin Lena Schulte.

Beim Volksentscheid am Sonntag geht es um zwei Fragen: Darf an den Rändern des knapp 400 Hektar großen Areals gebaut werden? Und bleibt die Freifläche im Besitz der Stadt? Zur Wahl stehen zwei Gesetzesentwürfe, die sich in diesen Punkten unterscheiden: THF 100 will, dass das Feld so bleibt, wie es ist und dass es nicht verkauft werden darf. Der Entwurf des Senats wiederum sieht vor, dass zwar 230 Hektar als öffentliche Grünfläche genutzt werden sollen, zugleich möchte er aber auch, dass die „Möglichkeit einer Randentwicklung des Tempelhofer Feldes erhalten bleibt“. Was dieser verklausulierte Satz bedeutet, geht aus den Plänen des Senats zum Feld hervor: An den Rändern sollen Wohnungen, Büros, Schulen, Sportflächen und eine neue Landesbibliothek entstehen. Über den Verkauf steht in dem Gesetzesentwurf, dass die Grünfläche in der Mitte im Eigentum des Landes verbleiben

soll.

Die Aktiven von THF 100 sehen die Pläne des Senats kritisch. Eines ihrer Kernargumente gegen die Bebauung sind die Kosten. Sie verweisen auf amtsinterne Kostenschätzungen, wonach die Vorbereitung und Erschließung der geplanten Bauflächen 400 Millionen Euro kosten würde. Der Neubau der Bibliothek wird auf mindestens 350 Millionen beziffert. Abzüglich des Kauferlöses verblieben 620 Millionen Euro Kostenlast, die aus Steuergeldern finanziert werden müssten. Auch kritisieren die Aktivist*innen, dass der Senat zu Unrecht mit einer hohen Anzahl bezahlbarer Wohnungen werbe. Gerade mal für 18 Prozent der Wohnungen gebe es eine Mietpreisbindung. „Anstatt Falschinformationen zu verbreiten, soll Berlin das Wohnungsproblem endlich ernsthaft angehen“, sagt Schulte. Damit meint sie den kommunalen Wohnungsbau und Mietkappungsgrenzen für Sozialwohnungen. Welche Anforderungen durch den Wohnungsmangel an die Politik gestellt werden, geht aus einem Bericht der Investitionsbank Berlin hervor: 10.000 Wohnungen müssten jährlich gebaut werden, um dem Bevölkerungswachstum gerecht zu werden.

Für die Aktivist*innen von THF 100 geht es bei der Abstimmung am Sonntag um mehr als nur die Zukunft des Feldes. Hier wird darüber entschieden, wie zukünftig mit dem öffentlichen Raum umgegangen wird – bekommen Unternehmen freie Hand oder dürfen auch die Bürger*innen mitbestimmen? Zum anderen, wie der Senat mit Großprojekten umgehen soll – werden die Interessen der Bürger*innen wahrgenommen? Es geht also um verschiedene Modelle von Stadtentwicklung – eine „von unten“ und eine „von oben“. Wie öffentliche Flächen gemeinsam mit den Bewohner*innen gestaltet werden können, zeigt sich für die Aktivist*innen schon jetzt in Tempelhof: Jeden Tag besuchen mehrere Tausend Menschen den Park, gärtnern dort, machen Sport, feiern und grillen. Diese vielfältige Nutzung sei auf die Struktur des Parks zurückzuführen: „Der Ort schafft Möglichkeiten, von denen man gar nicht wusste, dass sie dort so möglich sind“, sagt Schulte.

Wer die Aktivist*innen unterstützen möchte, kann die Kampagnenzeitung verteilen, Infostände betreuen oder seine Freund*innen schnappen und zu den anstehenden Aktionen kommen. Am Freitag wird im Babylon Kreuzberg diskutiert, am Samstag ist eine Demo auf dem Tempelhofer Feld gegen das Wahlrecht geplant, das 460.000 Berliner*innen vom Volksentscheid ausschließt. Allein in den angrenzenden Bezirken Tempelhof, Kreuzberg und Neukölln wohnen circa 160.000 Menschen ohne deutschen Pass. Dieser ist Voraussetzung für eine Teilnahme an der Abstimmung. Beim Volksentscheid in Berlin dürfen sowohl EU-Staatsbürger*innen als auch Drittstaatenangehörige nicht wählen. Die Aktivist*innen appellieren an alle Stimmberechtigten, am Sonntag die letzte sich bietende Chance wahrzunehmen, um über die Zukunft des Felds mitzuentscheiden. LUKAS DUBRO