Grabkammer der Liebe

FOTOGRAFIE Eine Ausstellung zeigt die inszenierten Freitode von acht Paaren. Die Bilder erwecken Unbehagen – und lassen viel Platz für Zweifel und Fragen

Für die meisten der abgebildeten Paare waren gesellschaftliche oder politische Zwänge die Ursache für den Suizid

VON ULF SCHLETH

Beim Eintreten ist es bloß ein Raum in einer gewöhnlichen Kreuzberger Wohnung, etwa 30 Quadratmeter groß. Beim Heraustreten hat man das Gefühl, eine Grabkammer zu verlassen. Dabei war die intime Wirkung einer Privatwohnung als Ausstellungsort für „Dødspar, Liebespaare“ der 1964 geborenen Fotokünstlerin Claudia Reinhardt gar nicht beabsichtigt. Sie ist allein dem Umstand zu verdanken, dass sie nicht mit der Ausstellung warten wollte, bis sich eine Galerie gefunden hat. Leider sind dadurch die Öffnungszeiten stark begrenzt.

Reinhardts Fotografien stellen die Freitode von acht Paaren dar, für jedes Paar hängen drei bis vier kleinformatige Bilder an den Wänden. Sie zeigen die mit Laiendarstellern inszenierten Situationen kurz nach dem Tod der Paare in der Draufsicht und zwei bis drei Detailansichten. So zwingt Reinhardt den Betrachter, näher an das Bild heranzutreten und sich in die Situation hineinziehen zu lassen. Sie lässt uns das Unbehagen derjenigen empfinden, die unmittelbar nach dem Geschehen den Ort betreten und die Toten finden.

Für die meisten der abgebildeten Paare waren gesellschaftliche oder politische Zwänge die Ursache für den Suizid. Mehrere von ihnen haben sich das Leben genommen, weil sie den Nazis auf einem anderen Weg nicht mehr entfliehen konnten, oder, wie Stefan und Lotte Zweig, den Verlust ihrer geistigen Heimat im Exil nicht ertragen konnten. Michael und Monika Stahl hingegen gerieten 2005 als „erste Opfer der Hartz-IV-Gesetze“ in die Schlagzeilen. Sie wählten in einem Waldstück bei Berlin den Tod durch Autoabgase, weil sie ihren sozialen Abstieg nicht ertrugen.

Claudia Reinhardt arbeitet als freiberufliche Fotografin in Hamburg, wo sie Meisterschülerin von Bernhard Johannes Blume war. Sie lehrte an der Nationalen Akademie der Künste Norwegens. Jetzt lebt und arbeitet sie in Berlin und Oslo. Bereits 2004 beschäftigte sie sich in ihrer Arbeit „Killing Me Softly“ mit dem Suizid. Damals mit dem bekannter Künstlerinnen.

So wie sich hinter dem Freitod einer Einzelnen das Fehlen von Liebe vermuten lässt, impliziert der Tod eines Paars deren Anwesenheit. Dazwischen ist viel Platz für Zweifel und Fragen. War es eine gemeinsame Entscheidung oder ist eine dem anderen gefolgt? Wo genau ist der Punkt überschritten, an dem Hoffnung und die Liebe zum Leben ganz der Liebe zum Partner und dem Tod Platz macht? Können wir den Wunsch der Paare, sich vom Leben zu befreien, akzeptieren, oder haben wir es mit Mord am Selbst zu tun? Und welche Verantwortung tragen jene, die die auslösenden Umstände geschaffen haben?

Etwa eineinhalb Jahre hat die Arbeit an „Dødspar, Liebespaare“ gedauert. Recherche, Planung, Requisite, die Suche nach geeigneten Orten. Ein Mammutprojekt, das ohne ein zweijähriges Arbeitsstipendium des Norsk Billedkunstnerer nicht möglich gewesen wäre. Claudia Reinhardt will noch weitere Paare inszenieren, darunter Gert Bastian und Petra Kelly. Ihre beeindruckende Fotoarbeit wird noch an zwei weiteren Terminen in Berlin zu sehen sein.

■ Haus Dietrich, Spreewaldplatz 2a, Kreuzberg, 16. und 17. Mai, 14 bis 18 Uhr und nach Vereinbarung