Die kleine Wortkunde

Wer in sozialen Netzwerken schlechten Geschmack beweisen will, postet ein auf Armlänge geschossenes Smartphone-Foto von sich selbst – ein Selfie. Fortgeschrittene fotografieren ihr Essen. Wer sich wirklich abheben will, für den gibt es einen neuen Foto-Sport: SHELFIES. Anfangs waren es vor allem Fotos vom heimischen Bücherregal, die Einblick in die User-Seele geben sollten. Mittlerweile tummeln sich etliche Stillleben von Brillen, Tassen oder Büroklammern im Netz – manchmal perfekt arrangiert, manchmal zufällig aufgenommen.

„Shelfie“ ist ein Kofferwort aus „Selfie“ (Selbstporträt-Foto) und „Shelf“ (Regal). „Self“ (das Selbst, Ich) stammt vom germanischen „selbaz“ (selbst) ab. Shelf geht vermutlich auf das mittelniederdeutsche „Schelf“ (Regal) zurück.

Einige Shelfie-Knipser wollen sicher nur ein hübsches Bild posten, doch viele stellen in erster Linie sich selbst aus: Wir sollen unsere Aufmerksamkeit nicht mehr den Personen, sondern ihrem Besitz zuwenden, aus dem der Betrachter Rückschlüsse auf die jeweiligen Kuratoren in eigener Sache ziehen kann. Seit der Antike sollten Stillleben den sozialen Status ihrer Eigentümer widerspiegeln, doch die klassische Stilllebenmalerei hatte auch einen technischen Anspruch: Die Täuschung der Wahrnehmung durch die perfekte Nachbildung der Realität. Fragen sie Shelfisten ruhig mal, ob sie die Bücher, die sie so perfekt angeordnet haben, auch gelesen haben. ERIK WENK