„Wir werden versuchen, selbst Sprachkurse zu organisieren“

INTEGRATION Das Netzwerk „Fluchtort Hamburg Plus“ vermittelt Flüchtlinge in Arbeit und Ausbildung. Das wird schwieriger, weil die Mittel für berufsbezogene Sprachkurse fehlen

■ 43, ist seit 2011 Koordinatorin bei Fluchtort Hamburg Plus und seit 2014 bei Chancen am Fluchtort Hamburg. Davor war sie Dozentin und Fortbildnerin in Programmen der Flüchtlingsförderung.

INTERVIEW AMADEUS ULRICH

taz: Frau Voges, ab sofort können die einzigen Sprachfördermaßnahmen, die auch Flüchtlingen offenstehen, nicht mehr bewilligt werden. Warum?

Franziska Voges: Die Begründung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge lautet, dass es einen sehr hohen Andrang auf das Programm zur berufsbezogenen Sprachförderung gegeben habe, das vom Europäischen Sozialfond unterstützt wird. Das Geld sei früh ausgeschöpft gewesen. Seit der Öffnung der Sprachkurse für Flüchtlinge im Jahre 2012 wurden diese zwar stark in Anspruch genommen. Die steigenden Flüchtlingszahlen erklären diesen überraschenden Mittelstopp aber nicht ausreichend.

Wie geht es weiter?

Die berufsbezogenen Sprachkurse für Flüchtlinge werden zu 50 Prozent vom Sozialfond unterstützt. Da das Geld nun fehlt, müssten die Programme komplett aus Landes- oder Bundesmitteln finanziert werden. Dafür sind keine Haushaltsmittel eingeplant. Das heißt für Flüchtlinge: Sie werden in vielen Regionen gar kein Sprachförderangebot mehr haben. Das trifft sie hart.

Wie will Ihr Netzwerk darauf reagieren?

Wir werden versuchen, selbst Sprachkurse zu organisieren. Ob das klappt, hängt davon ab, ob wir Projektaufgaben umsteuern können – „Fluchtort Hamburg Plus“ besteht aus sieben Teilprojekten.

Wie sehen die aus?

Ein Projekt richtet sich an jugendliche Flüchtlinge, die eine Ausbildung im gewerblichen Bereich machen möchten. Das Projekt trägt die Arbeitsgemeinschaft selbstständiger Migranten. Dieser Verein hat auch die Aufgabe, neue Betriebe zu akquirieren, die Flüchtlinge ausbilden möchten. Dazu sind besonders oft migrantische Unternehmen bereit.

Was ist mit einheimischen Unternehmen?

Die sind gegenüber Flüchtlingen verunsichert und verstehen nicht, was zum Beispiel eine Duldung ist. Auch der damit verbundene Papierkram überfordert sie oft. Man muss sie unterstützen und aufklären und zum Beispiel erläutern, dass sie keine Angst haben müssen, der Bewerber werde morgen abgeschoben.

Fluchtort Hamburg organisiert auch ein Mentorenprojekt, wie läuft das?

Ja, beim Träger Basis & Woge. Die Mentoren unterstützen dort die Flüchtlingsjugendlichen bei lebenspraktischen Themen während der Ausbildung, der Bearbeitung von Konflikten innerhalb der Familie und ähnlichem. Das soll Ausbildungsabbrüchen entgegenwirken.

Kommen Abbrüche häufig vor?

Bei Flüchtlingen gibt es einige gefährdende Momente. Das sind zum Beispiel die prekären Sammelunterkünfte. Außerdem gibt es bei Jugendlichen oft das Problem, dass sie als unbegleitete Flüchtlinge eingereist sind und somit die familiäre Unterstützung fehlt. Und nicht zuletzt haben Flüchtlinge abhängig vom Status zunächst ein neunmonatiges oder zwölfmonatiges Arbeitsverbot; und in den ersten vier Jahren Aufenthalt in Deutschland keinen Zugang zu Bafög oder zur Berufsausbildungsbeihilfe. Das ist bei einigen Ausbildungsgängen im ersten Lehrjahr mit sehr niedriger Vergütung kaum zu meistern.

Gibt es typische Ausbildungsberufe für Flüchtlinge?

Man kann sagen, dass vor allem für Flüchtlinge mit kurzem Aufenthalt in Deutschland tendenziell niedrigschwellige Berufe in Frage kommen. Es gibt aber auch welche, die nur geduldet sind, aber eine Ausbildung zur Rechtsanwaltsfachgehilfin machen.

Das ESF-Bundesprogramm zur arbeitsmarktlichen Unterstützung für Bleibeberechtigte und Flüchtlinge (Xenos) soll Flüchtlinge bei der Integration in den Arbeitsmarkt unterstützen. Dafür werden bundesweit 28 Netzwerke gefördert.

■ Fluchtort Hamburg Plus ist eines dieser Netzwerke, die Flüchtlinge beraten, coachen, schulen und sie in Arbeit und Ausbildung vermitteln.

■ Das Hamburger Netzwerk genutzt haben zwischen Anfang 2011 und Februar 2014 1.235 Teilnehmende, davon sind 810 Menschen vermittelt worden, 23 Prozent davon in eine schulische oder duale Ausbildung.

Wie viele Flüchtlinge können Sie vermitteln?

Man muss leider früh Leute abweisen, weil Kapazitäten fehlen. Wir haben bei Fluchtort Hamburg 444 Jugendliche in den letzten drei Jahren aufgenommen. Davon konnten wir gut 23 Prozent in beruflichen Ausbildungen unterbringen. Das ist ein Erfolg. Viele sind aus verschiedensten Gründen nicht vermittelbar, weil zum Beispiel die Sprachkenntnisse noch nicht ausreichen oder sie ein Arbeitsverbot haben. Wichtig ist aber auch, die Qualität der schulischen Förderung zu erhöhen. Flüchtlingen wäre sehr geholfen mit einer Reform der Bildungsgänge, in die sie in Hamburg vermittelt werden.

Wie geht es ab 2015 weiter?

Es wird wohl ein neues Programm zur Förderung der beruflichen Integration geben, doch wahrscheinlich nicht von Jahresbeginn an, sodass eine Förderlücke entsteht. Im nächsten Jahr müssen wir also gucken, für welche Maßnahmen wir ausreichende Mittel beantragen können. Was das Programm zur berufsbezogenen Sprachförderung betrifft, machen wir uns Sorgen, ob die Zielgruppe Flüchtlinge überhaupt berücksichtigt wird. Es wäre wirklich unverständlich, dass man eine Gruppe gezielt rausnimmt, die man 2012 erst reingenommen und das als große Innovation gefeiert hatte.

Fühlen Sie sich genug unterstützt?

Hamburg hat als erstes Bundesland für die Periode 2014-2020 aus Landesmitteln einen eigenen Projektverbund zur Integration von Flüchtlingen gefördert. Außerdem wurden im neuen Integrationskonzept der Stadt Flüchtlinge mit einbezogen. Damit hat Hamburg ein Signal gesetzt, an dem sich die konkrete Umsetzung integrationspolitischer Maßnahmen allerdings messen lassen muss. Aber Hamburg betrachtet die Ausbildung und Beschäftigung von Flüchtlingen auch pragmatisch-hanseatisch-nüchtern. Wenn jemand Potenzial hat, dann ist er willkommen. Die Willkommenskultur hierzulande hat leider einen bitteren Beigeschmack: Sie richtet sich nur an die, die Europa meint gebrauchen zu können. In Deutschland ist das gekoppelt an die Fachkräftestrategie. Das ist ein neoliberaler Ansatz – kein humanitärer.