„Ich habe immer manisch gesammelt“

Benjamin von Stuckrad-Barre hat in der Galerie Heliumcowboy Artspace die Ausstellung „Runterladen“ angezettelt. Der Raum quillt über vor Notizen aus dem Universum des Schriftstellers. Der pappt zum Beat der „Pet Shop Boys“ emsig Papier an die Wand

taz: Herr von Stuckrad-Barre, wie sind Sie auf die Idee gekommen, Ihre Notizzettel öffentlich auszustellen?

Benjamin von Stuckrad-Barre: Vergangenen Winter habe ich sehr viele Monate im Hotel Prem hier in Hamburg verbracht. Ich war der letzte Gast, bevor es geschlossen wurde und hatte viel Platz zur Verfügung. Abends habe ich mich oft mit meinem Freund, dem Maler 4000 getroffen und – nun ja – gespielt. Das sah so aus, dass wir Papierhaufen vor uns liegen hatten und da was draufgemalt, -geklebt, etwas ausgeschnitten und es an die Wände gehängt haben. So entstand die Idee, das in einem Raum zu machen, den man nicht am nächsten Morgen wieder aufräumen muss.

Gibt es ein System, nach dem Sie Ihre Notizen an der Wand anbringen?

Ja. Da vorne habe ich angefangen, Kontosachen hinzuhängen. Jetzt entsteht darum der Erlebnisraum Kapital. Das Ganze wächst von der Mitte heraus und am Rand müssen Schnittmengen mit dem nächsten Thema hergestellt werden. Das geschieht assoziativ im Durchwühlen.

Sie haben die hier ausgestellten Zettel zum Teil eingescannt, um ihren Schreibtisch zu ordnen. Jetzt „laden“ Sie sie wieder runter und zeigen die Originale. Warum?

Das schöne haptische Erlebnis kann das Internet nicht leisten. Man muss einem Papier auch ansehen, wie alt es ist, ob es Knicke hat oder jemand draufgetreten ist. So ist das hier ein konträrer Vorgang zum Abspeichern. Andererseits ist das Sortieren an der Wand ähnlich wie beim Computer, wo man Verzeichnisse, Ordner und Schubladen anlegt.

Wie ist Ihre Beziehung zu Zetteln?

Ich habe immer manisch gesammelt. Wenn ich einen Zettel sehe, auf dem Leute einem was wünschen oder verbieten, kann ich nur ganz schwer an mich halten, den nicht mitzunehmen.

Was ist Ihr Lieblingszettel?

Ich habe gerade für 200 Euro einen Zettel von Jonathan Meese gekauft. Auf dem steht einfach nur „ich“. Oder der Zettel „Dieser Staat ist mir scheißegal“, der in Zürich mit Tesafilm an einem Schaufenster festgeklebt war. Ziemlich schweizerisch. Sie wollen ihren Kram sauber halten aber trotzdem Punk sein.

Wozu brauchen Sie die Papiere?

Zettel durchgucken und meine Wanderdünen umschichten ist eine Vorstufe zum kreativen Arbeiten. Die Papiere sind für mich Inspirationsquellen, die in unterschiedliche Darstellungsformen münden. Sei es in eine Ausstellung wie hier oder in einen Roman. Den Zettel „Dies ist kein Geschirrablageplatz“ könnte man zum Beispiel prima irgendeinen nervigen Typen in einem Buch an den Geschirrspüler heften lassen.

Wann erscheint Ihr neuer Roman ?

Mal sehen, der ist noch nicht fertig. Den habe ich erst mal beiseite gepackt, weil ich gerade in Berlin an der Jubiläumsausgabe der Zeitschrift Tempo arbeite, die Ende November erscheint.

Können Sie sich von Zetteln trennen?

Erst wenn ich daraus etwas destilliert habe. Bei Umzügen kommt immer mein Bruder oder Freunde und die sagen dann „Jetzt geh du mal zu den CDs“ und sie schmeißen dann Sachen weg, weil ich das eigentlich nicht kann. Mittlerweile habe ich Lager in Zürich, Frankfurt, Hamburg und Berlin eingerichtet. Ich betreibe quasi eine Vier-Felder-Wirtschaft.

Neben Notizen haben Sie auch Fotos gesammelt, etwa von einem geringelten Bikinioberteil. Das wirkt zunächst recht belanglos.

Ja.

Was wollen Sie damit transportieren?

Das ist so eine Dienstleistungsanforderung an Kunst, die ich immer lustig finde. Ein Künstler will sich selbst was sagen. Wenn andere darin etwas finden – Glück gehabt. Aber ich kann nicht von einem Künstler verlangen: „Bitte erkläre mir doch das Bild.“ Aus diesem Zettel „ich“ kann man beispielsweise alles rauslesen. Alles was man will, oder was man selbst auch ist. Das ist ja das Schöne an Bildern. Sie erzählen jedem etwas anderes.

Was erzählt Ihnen der Bikini?

Bikini heißt immer Sehnsucht. Sowohl nach Zeit als auch nach Personen, Temperaturen, kurz: Nach allem, was ich nicht bin. Großes Sehnsuchtsthema.

Sammeln Sie noch andere Dinge?

„Pet Shop Boys“-Platten. Davon habe ich mittlerweile schon 200. Aber es gibt da noch Kassetten aus Japan, die dringend hermüssen. INTERVIEW: SÖRRE WIECK

Die Ausstellung „Runterladen“ läuft bis zum 25.11., jeweils mittwochs bis freitags von 11-19 Uhr. Am 10., 17., 24. und 25.11. ist Benjamin von Stuckrad-Barre jeweils ab 20 Uhr anwesend