We Shall Overcome in Pink

MUSICAL In der Musicalfassung von „Dirty Dancing“ sind sie wieder drin: im Film gestrichene Anspielungen auf die Bürgerrechtsbewegung der Sechziger. Die formidabel getanzte Bühnenshow ist im Admiralspalast zu sehen

Die Tanzsequenzen sind nah am Film, aber noch eine Umdrehung virtuoser ausgeführt

VON KIRSTEN RIESSELMANN

„Dirty Dancing“ ist bis heute verschrien als trashiges Tanzfilmchen, als Kondensat des schlechten Geschmacks der achtziger Jahre, als bonbonfarbene Kitschromanze für die Dame zwischen 15 und 50. Dabei gehört der Kinowelterfolg längst zum kulturellen Kanon, zumindest der westlich geprägten Welt. Und das nicht nur, weil der Independent-Film ein Überraschungskassenschlager war. Das Einspielergebnis lag 35 Mal über den Produktionskosten, der Soundtrack ist das siebterfolgreichste Album aller Zeiten.

Nein, „Dirty Dancing“ ist eine wohlausbalancierte, bis heute begeisternde Fusion aus Liebesgeschichte, engagiertem Gesellschaftsporträt, Popmusik, virtuosem Tanz und einer – entgegen aller diskriminierenden Charakterisierungen von Baby Houseman als „Naivchen“ – starken weiblichen Hauptfigur. Dass „Dirty Dancing“ einer dringenden Revision und Aufwertung als Meilenstein gut gemachter Populärkultur bedarf, wurde bereits anlässlich des 25-jährigen Jubiläums betont.

Die Musical-Umsetzung der Geschichte ist nicht neu – seit 2004 tourt die Bühnenshow über den Globus und gastierte 2009/2010 sogar schon am Potsdamer Platz. Jetzt geht die Produktion mit neuem Team wieder auf Tour im deutschsprachigen Raum, und es wundert nicht, dass sie offenbar eine ähnliche Nachhaltigkeit entwickelt wie der Film. Denn hier tritt eine Bühnenversion nicht als Magerquark-Adaption an, sondern als tatsächlich liebevolle, gut durchdachte Hommage an die Vorlage.

Eine Hommage, die die Authentizitätsfetischisten nicht vergrätzt (die meisten Szenen lassen sich mitsprechen, viele Settings und Moves sind eins zu eins übernommen), sich aber trotzdem die Freiheit nimmt, um das, was am Film gut oder gut gedacht war, noch deutlicher herauszuarbeiten. „Das Original Live On Tour“ belegt mit Schwung und Charme, warum „Dirty Dancing“ bis heute eine erzählenswerte, grundsympathische und über alle Alters- und Gendergrenzen hinweg geliebte Geschichte ist.

Die Liebe war bei der Premiere am Sonntag zu spüren. Nicht nur erstrahlte der Admiralspalast in herzhaftem Pink, nicht nur war das Finger-Food am Thema „Wassermelone“ orientiert, nein, auch das Publikum hatte geschlossen darauf geachtet, zumindest ein magentafarbenes Item am Leib zu tragen, sei es in Form von Schal, Hütchen, Krawatte oder Haupthaar (Natascha Ochsenknecht). Die meisten waren szenenfolgenfirm und erfreuten sich merklich am ersten Auftritt von Sonnenbrillen-Johnny, an Babys Kultsatz „Ich habe eine Wassermelone getragen“ und ihrer beherzten Anbahnung des ersten Geschlechtsverkehrs. Freundlich gelacht wurde, wo charmant allzu aufwändige Bühnentechnik umschifft wurde, zum Beispiel, als die Tanzübungen im See via Projektionstrick nur als optische Täuschung stattfanden.

Anna-Louise Weihrauch und Mate Gyenei als Baby und Johnny sind sowohl tänzerisch als auch schauspielerisch erstaunlich nah an ihrem jeweiligen Vorbild – wenn der ungarisch-amerikanische Akzent von Gyenei auch hin und wieder aus der Reinkarnationsfantasie ausreißt. Die Nebenfiguren werden freier gehandhabt und vor allem in ihrer komischen Substanz konturiert. Plotentwicklungen, die im Film leicht untererklärt sind, werden mit guten Gründen unterfüttert. Die Tanzsequenzen sind choreografisch sehr nah am Film, allerdings noch eine gute Umdrehung virtuoser, ja perfekter ausgeführt, vor allem im Fall der formidablen Penny (Marie-Luisa Kaster).

Abgesehen von der Livemusik besteht der wesentliche Unterschied zum Film darin, dass Drehbuchautorin Eleanor Bergstein – die auch für diese Bühnenversion verantwortlich zeichnet – ins Musical wieder hineingeschrieben hat, was ihr die Produktionsfirma einst aus dem Filmscript gestrichen hat: alles, was die Story klarer in ihrem politisch-zeithistorischen Kontext verortet. So gibt es einige neue Szenen, die deutlicher das bürgerlich-liberale, von der Umbruchstimmung der frühen sechziger Jahre faszinierte Milieu zeichnen, in dem Baby aufwächst. Da sitzen die Hotelgäste doch tatsächlich im Kreis und hören einer Martin-Luther-King-Rede im Radio zu, während Geld für die Bürgerrechtsbewegung gesammelt und „We Shall Overcome“ gesungen wird.

Auch der Klassenunterschied zwischen den Hauptfiguren, das Utopisch-Parabelhafte dieser Liebesgeschichte wird noch stärker betont. Und als dieser Unterschied in der letzten Szene in der berühmten Hebefigur buchstäblich aufgehoben wird und Baby als Bezwingerin der sozialen Norm und souveräne Managerin ihrer Libido tatsächlich triumphal in der Luft steht, ist die Begeisterung groß. Damals, heute, immer. Was für ein Spaß für Herz, Augen und – ja, ich bleibe dabei – auch Hirn.

■ Bis 18. Mai, täglich außer montags