„Die Fürsorgepflicht wahrnehmen!“

Psychische Schäden nach Auslandseinsätzen werden heruntergespielt, sagt SPD-Verteidigungsexperte Thießen

taz: Herr Thießen, wie viele heimgekehrte Bundeswehrsoldaten leiden an psychischen Störungen?

Jörn Thießen: Es gibt einen deutlichen Anstieg von Heimkehrern, die unter posttraumatischen Belastungsstörungen leiden. Ich befürchte, dass wir noch über dem Schnitt von 4 bis 5 Prozent Erkrankten liegen, den andere Staaten wie die Niederlande oder die USA in Feldforschungen ermittelt haben. Die Zahlen aus dem Verteidigungsministerium sind nicht verlässlich.

Woran liegt das?

Zunächst an der hohen Dunkelziffer. Viele Soldaten melden sich nicht, weil sie in der Truppe nicht als Weicheier dastehen wollen. Wir wissen leider auch nichts von den Reservisten und Freiwilligen, die nach dem Einsatz aus der Bundeswehr ausscheiden. Tatsache ist auch: Die Bundeswehr kümmert sich nicht genug um die Erkrankten.

Was wird Ihrer Meinung nach versäumt?

Das Problem ist in der Bundeswehr bekannt, wird aber nicht koordiniert angegangen. Bisher gibt es allein eine Abteilung im Bundeswehrkrankenhaus Hamburg, die sich mit posttraumatischen Störungen befasst. Wie viele ehemalige Soldaten sonst noch privat bei niedergelassenen Ärzten in Behandlung sind, können wir nicht sagen.

Und wie können die in Zukunft erreicht werden?

Die Bundeswehr muss ihre Fürsorgepflicht gegenüber den Soldaten endlich besser wahrnehmen. Dafür braucht es strukturelle Änderungen. Ich befürworte die Gründung eines Bundeswehrzentrums für Traumaforschung. Die USA etwa haben solch eine Einrichtung schon nach dem Vietnamkrieg gegründet. Dort wird mit hoher Professionalität gearbeitet.

Wie soll ein solches Zentrum aussehen?

Man sollte eine der zahlreichen aufgegebenen Kasernen in Deutschland nutzen. Dort kann man auch andere Berufsgruppen als die Soldaten behandeln, etwa Mitarbeiter vom Technischen Hilfswerk oder Feuerwehrmänner. Anders als bisher können die Familien und Freunde von betroffenen Soldaten viel besser untergebracht und in die Therapie eingebunden werden. Sie leiden immer mit unter der Sprachlosigkeit des traumatisierten Rückkehrers und sind für eine Genesung sehr wichtig.

INTERVIEW: CHRISTOPH GERKEN