All die einsamen Leute

In seinem neuen Roman „Eleanor Rigby“ ist Douglas Couplands Generation X beinahe in der Normalität angekommen

Liz ist sechsunddreißig. Sie arbeitet als Sachbearbeiterin in einer Computerfirma, und abends sitzt sie in ihrer Wohnung am Rand von Vancouver allein vor dem Fernseher. „Ich bin unscheinbar, mürrisch und habe keine Freunde“, erklärt sie, „und außerdem bin ich dick.“ Liz macht sich keine Illusionen über ihr Leben. Doch dann bekommt sie im Frühjahr des Jahres 1997, als gerade der Komet Hale-Bopp an der Erde vorzieht, einen Anruf aus einem Krankenhaus, mit dem sich alles ändert. Liz erfährt, dass ein gewisser Jeremy Buck mit einer Überdosis Partydrogen eingeliefert worden sei und ihren Namen und ihre Telefonnummer bei sich getragen habe. Liz macht sich auf den Weg, und an jenem Abend trifft sie zum ersten Mal ihren Sohn, den sie als Teenagerin gleich nach der Geburt zur Adoption freigeben hat.

Wer das für nicht ganz so glaubwürdig hält, hört am besten gleich auf zu lesen. Mit „Eleanor Rigby“ setzt der kanadische Schriftsteller Douglas Coupland wie in seinen letzten vier oder fünf Romanen auf eine Handlung, die durch eine Reihe von Ereignissen gekennzeichnet ist, die man im Englischen höflich als low probability events bezeichnet. Nicht genug, dass eine Mutter nach zwanzig Jahren auf ihren für immer verloren geglaubten Sohn trifft, Liz muss außerdem erfahren, dass Jeremy an einer schnell fortschreitenden Form der multiplen Sklerose erkrankt ist und nur noch wenige Monate zu leben haben wird. Später – die Handlung erstreckt sich bis in das Jahr 2004 – wird ein Meteorit direkt neben Liz in die Straße vor ihrem Haus einschlagen, sie wird einen Terroralarm auf dem Frankfurter Flughafen auslösen und sich zuletzt in Wien in ebenden Mann verlieben, der sie während einer Klassenfahrt in den Siebzigern im Zustand der Volltrunkenheit geschwängert hat. Ach so: Vielleicht hat sie Krebs, und ein Serienmörder tritt ebenfalls auf.

Das nehmen Fans einfach hin. Spätestens seit „Girlfriend in a Coma“ (1998) ähneln Douglas Couplands Romane in gewisser Hinsicht hysterischen Vorabendserien, in denen vermeintlich durchschnittliche Charaktere von haarsträubenden Skiunfällen bis hin zu HIV-Infektionen in Folge innerfamiliären Schusswaffengebrauchs ganzen Meteoritenschwärmen von Schicksalsschlägen ausgesetzt sind. Gleichzeitig fanden sich allerdings immer wieder zauberhafte Alltagspassagen, und in „Eleanor Rigby“, das nicht umsonst nach dem schönen und melancholischen Song der Beatles benannt ist, gibt es davon mehr als je zuvor.

Allein das ist Grund genug, dieses Buch zu Hause dem halben Regalmeter Coupland hinzuzufügen. Mit einfachen Worten beschreibt die Erzählerin Liz ihre nordamerikanische Singleexistenz mit den „Schneestürmen der Einsamkeit“, dem bedrohlichen Gefühl, „samstagsmorgens aufzuwachen und festzustellen, dass ich noch zwei Tage herumkriegen muss, bis die Arbeit wieder losgeht“, und dem Wunsch, ein ganz normaler Mensch zu sein: „mit kleinen und großen Dramen, Geheimnissen und Enthüllungen; Kaffeetassen und Tellern mit angetrocknetem Essen“.

In „Eleanor Rigby“ sind die Twentysomethings, denen Douglas zu Beginn der Neunzigerjahre mit „Generation X“ ein lässiges literarisches Denkmal gesetzt hat, im grauen Alltag angekommen. Egal ob sie sich dafür entscheiden, „zweimal täglich etwas Hübsches einzunehmen“ oder „Gott in ihr Leben zu lassen“, sie werden es hier noch eine ganze Weile aushalten müssen. Der Bruder von Liz auf jeden Fall arbeitet für eine Biotechfirma, die auf der Suche nach dem Gen für ein langes Leben überall auf der Welt die DNS von wirklich sehr alten Menschen sammelt. „Es gibt noch nicht einmal ein Wort für diese Altersklasse“, stellt Liz an einer Stelle fest: „Einhundertzehnsomethings?“ – Wie immer man sie nennen will, auch über diese Menschen wird Douglas Coupland irgendwann schreiben. KOLJA MENSING

Douglas Coupland: „Eleanor Rigby“. Aus dem Amerikanischen von Tina Hohl. Hoffmann und Campe, Hamburg 2006, 272 Seiten, 18,95 Euro