Helfen oder schießen
: KOMMENTAR VON STEFAN REINECKE

Die Politiker haben auf die Bilder der Bundeswehrsoldaten, die sich 2003 in Afghanistan mit einem Totenschädel die Zeit vertrieben, mit Abscheu und Empörung reagiert. Die Täter wurden schnell identifiziert. Einer soll schon gestanden haben. Klare Verurteilung, hartes Durchgreifen. Im Übrigen, wird versichert, handelt es sich nur um einen Einzelfall. Ist die Welt also wieder in Ordnung? Keineswegs.

Diese Bilder werden bleiben. Und zwar nicht nur wegen der Kombination von bizarrer sexueller Selbstinszenierung, Albernheit und einer Tabuverletzung, der Störung der Totenruhe. Sie werden in der Erinnerung haften, weil sie schlagartig verdeutlichen, dass Militär untrennbar mit Tod und psychischen Defekten gekoppelt ist. Sie zeigen, dass das Selbstbild der Bundeswehr als nette Armee eine Schimäre ist.

Der Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan gilt als vorbildlich. Deutschland wird, anders als die USA, eher als Helfer wahrgenommen und nicht als Macht, die Interessen verfolgt. Die Bundeswehr agiert als eine Art bewaffnetes technisches Hilfswerk, das Brunnen baut und unauffällig seinen Dienst tut.

Der Bundeswehrsoldat als Freund und Helfer – das ist gleichzeitig wahr und ein Trugbild. Denn dieses Bild ist Teil eines Doppelspiels, das bislang erstaunlich geräuschlos funktionierte. Die Bundeswehr betätigt sich als THW, während die Eliteeinheit KSK, völlig abgeschirmt vor jeder Öffentlichkeit, in Afghanistan kämpft. Diese unter Rot-Grün perfektionierte Arbeitsteilung war bequem – und verlogen. Sie ermöglichte ein gutes Gewissen und Unterstützung der USA im „Antiterrorkampf“. Den ersten Riss bekam dieses Bild, als Murat Kurnaz aussagte, dass ihn KSK-Leute in einem US-Lager in Afghanistan misshandelt hätten. Den zweiten mit den Schädelfotos.

Die Bundeswehr als zivile Friedenskraft „out of area“ einzusetzen, war verlockend. Damit betrieb man die außenpolitische Normalisierung – ohne schießen zu müssen, oder wenn, dann ganz geheim. Dieses Konzept funktioniert nicht mehr. Der Krieg im Süden Afghanistans eskaliert. Gestern starben dort Dutzende Zivilisten bei Nato-Angriffen auf Aufständische. Die Deutschen müssen sich entscheiden: Helfen oder schießen. Beides geht nicht.