Sparen, das an die Substanz geht

Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts hat dramatische Folgen für Berlin. 2,5 Milliarden Euro fehlen jährlich. Alles, was der Senat zur Haushaltssanierung tun könnte, wird die Lebensqualität in der Stadt weiter verschlechtern. Ein Horrorszenario

von Richard Rother

In den allermeisten rot-roten Reaktionen auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts klingt ein trotziges „Weiter so!“ Der fortgesetzte – aber nicht wesentlich verschärfte – Sparkurs sei die einzig sinnvolle Konsequenz, die aus dem Karlsruher Urteil zu ziehen sei. Einzig Finanzsenator Thilo Sarrazin (SPD) kündigt Vorschläge an, wie er bis 2011 jährlich einen Primärüberschuss – also ohne Zinszahlungen – realisieren will. Nur so ließen sich schrittweise Schulden abbauen. Allerdings werde auch dies nicht ausreichen, „um unsere Altschulden zu bedienen“.

Letztlich steckt Berlin mit seinen über 60 Milliarden Euro Miesen in der Schuldenfalle. Derzeit müssen allein für Kreditzinsen jährlich 2,5 Milliarden Euro aufgewendet werden. Will man also aus eigener Kraft herauskommen, müssten diese 2,5 Milliarden Euro, mehr als zehn Prozent des Gesamtetats, aus dem Haushalt gestrichen oder durch Mehreinnahmen kompensiert werden. Doch damit nicht genug. Für den langsamen Abbau der Altschulden müssten weitere Millionen eingenommen werden. Das alles scheint utopisch. Die Folge: Die Schulden steigen weiter – und damit auch die künftigen Zinsbelastungen. Weitere Einsparungen können also den Anstieg des Schuldenberges allenfalls verlangsamen, ihn verkleinern können sie auf lange Zeit nicht.

Dies dürfte auch dann zutreffen, wenn Berlin das tut, was ein Unternehmen in einer solchen Situation versuchen würde: Einnahmen steigern, Ausgaben – vor allem beim Personal – reduzieren. Der überwiegende Teil der Berliner Landesausgaben ist langfristig rechtlich gebunden, etwa für Pensionen, Sozialhilfe, Gehälter, bei Subventionen oder Bauvorhaben. Selbst wenn Berlin die variablen Ausgaben – etwa für Projekte – komplett striche, das Schuldenproblem ließe sich so nicht bewältigen.

Sparpotenzial hat das Bundesverfassungsgericht in den Bereichen Kultur, Wissenschaft und Wohnungswirtschaft ausgemacht. Immerhin leistet sich Berlin drei Universitäten, vor dem Krieg waren es nur zwei. Rund 300 Millionen Euro würde der Senat sparen, schlösse er beispielsweise die Humboldt-Universität, rechnet PDS-Finanzexperte Carl Wechselberg vor (siehe unten). Zudem könnte das Land Studiengebühren einführen.

Ein dicker Brocken sind die städtischen Wohnungen. Ihr Verkauf könnte bis zu 5 Milliarden Euro bringen, schätzen Experten. Finanziell weniger ins Gewicht fiele da die Schließung von einigen Theatern, einer Oper oder eines Tierparks.

Sogar an den Schulen ließe sich sparen, wenn man sich die zynische Sicht auf die Zahlen zu eigen macht. Zwar gibt es eine Schulpflicht in Deutschland, aber wer sagt, wie viele Kinder es pro Klasse sein müssen? Würde die Klassenstärke noch weiter erhöht, brauchte man mittelfristig weniger Lehrer – und spart. Dies würde zwar die Bildungschancen der Berliner Kinder weiter verschlechtern, aber das braucht in Bayern ja niemand zu kümmern – im Gegenteil. Je schlechter die Berliner, desto leichter hat es ein Bayer, in Berlin einen kostenlosen Studienplatz zu ergattern.

Um die Einnahmensituation zu verbessern, könnte der Senat auch die Kita-Gebühren noch einmal deutlich erhöhen. Allerdings darf der finanzielle Sinn einer solchen Maßnahme bezweifelt werden – schließlich würde die Einführung einer kostenlosen Kita für alle gerade mal 37 Millionen Euro im Jahr kosten und langfristig sogar Verwaltungskosten sparen. Weitere Möglichkeiten für Mehreinnahmen: die Erhöhung der Gewerbesteuer, die Einführung einer Tourismusabgabe, höhere Verwaltungsgebühren – damit träfe man allerdings diejenigen, die Geld in die Stadt bringen oder hier erwirtschaften.

Die Giftliste der Einnahmemöglichkeiten ließe sich erweitern: höhere Eintrittspreise in städtischen Einrichtungen, etwa in Museen, Schwimmhallen oder Theatern. Auch denkbar: noch höhere Fahrpreise für den öffentlichen Nahverkehr, wodurch langfristig die Subventionen des Landes für die BVG sinken könnten. Auch das Sozialticket könnte wieder abgeschafft werden.

Fest steht: Was auch immer das Land tut, um den Schuldenberg in den Griff zu bekommen, die Lebenssituation der Berliner und Berlinerinnen verschlechtert sich weiter. Entweder weil sie mehr für öffentliche Dienstleistungen zahlen müssen oder weil sie noch weniger Chancen haben, einen öffentlich finanzierten Job zu bekommen. Für den Präsidenten des Deutschen Instituts für Wirtschaftsförderung, Klaus Zimmermann, ist das gestrige Urteil eine Katastrophe. „Berlin wird zum Sozialfall.“