Bankier der Armen

Mit 27 Dollar für 42 Korbflechterinnen startete Muhammad Yunos seine Kreditvergabe

VON NICOLA LIEBERT

Ein Banker, den seine Schuldner regelmäßig hochleben lassen – das gibt es nicht oft. Das gibt es eigentlich nur bei Muhammad Yunus, dem Gründer der Grameen-Bank. Yunus ist allerdings auch nicht irgendein Banker, sondern eher ein Erfinder. Seine Erfindung ist der Mikrokredit. Er kam als Erster auf die Idee, mit Leuten Geschäfte zu machen, die jede andere Bank nicht mal zur Tür hereinlassen würde.

Der 66-jährige Wirtschaftsprofessor aus Bangladesch hat es aber nicht nur geschafft, mit seiner Bank Geld zu machen, er hat dabei auch noch Millionen Menschen geholfen, sich aus der Armut zu befreien. Und deshalb befand das Nobelkomitee in Oslo, dass er für seine Geschäftsidee nicht weniger als den Friedensnobelpreis verdient. „Dauerhafter Frieden kann nicht erreicht werden, wenn große Teile der Bevölkerung keinen Weg finden, aus der Armut auszubrechen“, begründete der Präsident des Friedensnobelpreiskomitees, Ole Danbolt Mjøs, die Entscheidung. Der mit 1,1 Millionen Euro dotierte Preis geht zur Hälfte an Yunus selbst und zur Hälfte an die Grameen-Bank.

Muhammad Yunus wurde 1940 als drittes von 14 Kindern einer Familie von Geschäftsleuten in Chittagong geboren. In seiner 1998 erschienenen Autobiografie beschreibt er seine Entwicklung vom Fulbright-Stipendiaten und bald schon Universitätsprofessor zum „Bankier der Armen“ (so der Titel des Buches). Es begann mit einer Feldstudie seiner Studenten in einer von Hungersnöten heimgesuchten Region. Die Gruppe „interviewte eine Frau, die Bambushocker herstellte, und erfuhr von ihr, dass sie sich umgerechnet 15 Pence leihen musste, um den Bambus für einen Hocker zu kaufen. Nachdem sie den Zwischenhändler ausbezahlt hatte, zu Zinssätzen von bis zu 10 Prozent pro Woche, blieb ihr ein Gewinn von 1 Penny“. Daraufhin habe er erkannt, dass irgendetwas an der Wirtschaftslehre, die er selbst verbreitete, „schrecklich verkehrt“ sei.

1976 legte Yunus in einem Dorf in der Nähe von Chittagong los. Ganze 27 Dollar verlieh er an 42 Korbflechterinnen. „Menschen müssen leiden wegen weniger als einem Dollar, der ihnen fehlt. Das war der größte Schock für mich“, erzählte er in einem Interview. Seither hat er reihenweise ökonomische Lehrsätze umgeworfen – etwa dass es Bauern an Unternehmergeist fehle, dass die meist analphabetischen Frauen nicht mit Geld umgehen könnten und dass Arme keine Ersparnisse bilden könnten.

Aus dem Projekt wurde 1983 eine richtige Bank. Bis heute hat die Grameen-Bank – zu Deutsch Dorfbank – mehr als 5 Milliarden US-Dollar an über 6,6 Millionen Kunden ausgezahlt. Denen gehört die Bank zu 90 Prozent, der Rest ist in Staatsbesitz. Ihren Gewinn steigerte die Bank auf 15,8 Millionen Dollar im vergangenen Jahr. Damit expandiert sie in neue Geschäftsfelder: regenerative Energien und Solarhandys für entlegene Dörfer etwa oder zinsfreie Kredite für Bettler.

Überall in Bangladesch kommen allwöchentlich Bankkunden in kleinen Hütten zusammen, neun von zehn sind Frauen. Sie stellen sich gegenseitig und einem zumeist per Fahrrad angereisten Bankangestellten ihre Geschäftsideen vor – eine Nähmaschine, eine Milchkuh, ein Fischteich – und besprechen, wer wie viel Kredit bekommt – mal ein paar Dollar, manchmal auch 100. Sie zahlen alte Darlehen zurück. Sie lassen sich belehren, wie wichtig Impfungen und abgekochtes Wasser sind. Sie skandieren die 16 Lebensregeln des Muhammad Yunus: alle Kinder in die Schule zu schicken etwa, Gemüse anzubauen und, ganz wichtig, keine Mitgift von den Eltern von Bräuten zu verlangen, durch die ganze Familien überschuldet werden. Und bevor die Grameen-Gruppe sich trennt, erschallt noch ein Hoch auf die Bank.

Das System funktioniert, obwohl die Kreditnehmerinnen keinerlei Sicherheiten bieten können. Dafür sorgt der soziale Druck, aber notfalls auch die Unterstützung der anderen Kreditnehmer in der Gruppe. 98 Prozent der Kredite mit Zinssätzen zwischen 5 und 20 Prozent werden anstandslos zurückgezahlt – Rückzahlungsquoten, von denen normale Banken nur träumen können. Schon bald stellte sich heraus, dass Frauen die besseren Kunden waren. „Die Frauen holen mehr heraus aus ihrem Darlehen, weil sie es gewohnt sind, mit knappen Ressourcen umzugehen“, so erklärt sich Yunus das. Das Problem dabei: Inzwischen schicken Männer offenbar oft ihre Frauen vor, wenn sie Geld brauchen. Die stehen dann unter Druck, die Kredite abzuzahlen.

Yunus aber sieht sich ohnehin nicht als Frauenförderer oder Wohltäter. Daher löst auch der mitunter geäußerte Vorwurf, er benutze die Armen in Bangladesch für knallharte Geschäfte, bei ihm nur Schulterzucken aus: Geschäfte sind gut, wenn sie nicht der Befriedigung von Gier, sondern sozialen Zwecken dienen. Dank der Kredite müssten die Armen nicht mehr auf die Mildtätigkeit anderer oder den Staat warten. Das Problem der Frauenunterdrückung in Bangladesch könne eine Bank allein nicht lösen – aber zumindest könne sie dabei helfen.