Der Wort-Artist hisst die Funk-Flagge

Hamburgs selbst ernannter Chef-Styler Jan Delay präsentierte im Osnabrücker Rosenhof sein neues Album „Mercedes Dance“. Dem Genrewechsel vom Reggae zum Funk mochte das Publikum bereitwillig folgen. Und Tausendsassa Delay schmeißt jetzt mit Discokugeln

Jan Delay ist ein Chamäleon. Mit seinem Solo-Debüt „Searching For The Jan Soul Rebels“ noch als Reggae-Star gefeiert, schaltet er auf seinem zweiten Album „Mercedes Dance“ nun auf Funk um. Die Inspiration zu diesem Genrewechsel kam ihm bei der Produktion von „Blast Action Heroes“, dem 2003 veröffentlichten Album seiner Band „Beginner“. Da hatte er jede Menge Jazz-Funk gehört, von „Crusaders“ und „Meters“. Denn: „Wer Hip-Hop macht und nur Hip-Hop hört“, so Delay, „betreibt Inzest.“ Zudem tingelte er als DJ Flashdance durch die Clubs und kam dabei auf den Groove-Geschmack. Etwas Tanzbares musste her, etwas Glamouröses.

Und Ta-Dah: „Mercedes Dance“ zeichnet sich durch einen hohen Popo-Wackel-Faktor aus – vor allem live. Das bewies der näselnde Wortartist am Mittwoch im Rosenhof in Osnabrück samt seiner Band „Disko No. 1“. Zunächst fiel auf: Auch optisch hat der Mann mit den vielen Pseudonymen (Eizi Eiz, Delay-Lama, Boba Ffett) sich neu erfunden: In weißem Hemd, Hut, schwarzer Hose und Krawatte betrat er die Bühne – alleine mit einem Ghettoblaster. Es gebe da ein Problem. Christian Wulff von der CDU sei doch aus Osnabrück. Und Delays zehnköpfige Band bestehe aus lauter roten Socken mit Willy-Brandt-Tattoos. Die weigerten sich, in so einer schwarzen Stadt aufzuspielen.

Sie kamen dann aber doch. Dem charmanten Styler sei Dank. Neben neuen Burnern wie „Feuer“, „Mercedes-Dance Intro“ oder „Plastik“ zündete auch Delays feurige Gewürzmischung an Clubhits. Seine Interpretationen von „Word up“ (Cameo), „Conga“ (Gloria Estefan) oder „Seven Nation Army“ von den „White Stripes“, waren gut gesetzte Stimmungsspritzen. Beim Flow seiner Sangesperlen schmolz das Publikum wie Eis in der Sonne, machte bei Freezer-Spielchen à la „wenn die Musik ausgeht, müsst ihr innehalten“ ebenso mit wie es ganze Textpassagen mitsang. So geschehen bei den Stücken von seinem Reggae-Debüt, die er ebenfalls im Riesenkofferraum seines „Mercedes Dance“ verstaut hatte; darunter „Vergiftet“, „B-Seite“ und Schnipsel von „Söhne Stammheims“, jenem Song über den RAF-Terrorismus.

Auf seinem neuen Album ist der in Delay wohnende Polit-Onkel subversiver ans Werk gegangen. Er kommt durch die Hintertür des Entertainments, bringt schöne Melodien mit, die erst den Körper und dann den Geist bewegen. So singt er in „Kartoffeln“, der Bezeichnung vieler Ausländer für Deutsche: „Der Flavour ist braun und der Groove, der ist Marsch, und wir haben keinen Stock, sondern nen Wald im Arsch.“

Hinter „Kirchturmkandidaten“ steckt der Amokläufer von Erfurt: „Es geht um die, die an der ganzen Scheiße verzweifeln, sich ’ne Wumme greifen und auf den Kirchturm steigen.“ Sein Tipp: „Behandelt and’re immer so, dass ihr das Echo vertragt.“ Völlig sinnfrei gute Laune zaubern, das geht natürlich auch, etwa bei dem straight nach vorne gehenden Stück „Klar“. Mit dieser Mischung aus lockeren Reimen, funky Grooves und eingebauter Gesellschaftskritik, fährt der selbst ernannte Chef-Styler auf der Überholspur: „Mercedes Dance“ schaffte es von null auf Platz eins der deutschen Albumcharts.

Neben Jan Delay entdecken übrigens auch andere Hamburger Künstler derzeit den Funk, etwa der ehemalige „EinsZwo“-Rapper Dendemann („Die Pfütze des Eisbergs“) oder „International Pony“ („Mit dir sind wir vier“). Warum Funk an der Elbe gerade so en vogue ist, weiß der Himmel. Vielleicht könnte Rio Reiser da mal nachfragen – eines der großen Idole von Jan Delay, der für sein neues Album auch Reisers „Für Dich“ gecovert hat. Schnulze bleibt allerdings Schnulze – auch mit der markant nöligen Stimme von Herrn Eißfeldt. Eines von dessen weiteren Vorbildern ist übrigens der Mithamburger Udo Lindenberg. Und den konnte er sogar für den Song „Im Arsch“ gewinnen – allerdings nur im Studio. Im Osnabrücker Rosenhof nun imitierte Delay den Part des alten Haudegen gleich mit. Er ist eben ein Tausendsassa. SÖRRE WIECK

weitere Konzerte: 17. und 18. 10. (ausverkauft!), D-Club, Hamburg