Lehrstellenlücke

AUS BERLIN KATHARINA KOUFEN

Noch nie seit der Wiedervereinigung standen so viele Jugendliche ohne Ausbildungsplatz da: Etwa 49.500 Bewerber seien „noch nicht vermittelt“, meldete die Bundesagentur für Arbeit gestern. Das sind 9.000 Menschen mehr als im Vorjahr. Der Grund: Es gibt immer mehr „Altbewerber“, die in den letzten Jahren leer ausgegangen sind und es erneut versucht haben. Erstmals ist diese Gruppe sogar größer als diejenige der Schulabgänger, die neu hinzugekommen sind.

Bundesweit kommen im Durchschnitt 100 Bewerber auf 54 freie Lehrstellen. Am rosigsten sieht die Lage noch in Hamburg aus, dort gibt es 98 Ausbildungsplätze für 100 Jugendliche. In Berlin und Ostdeutschland konkurrieren drei Bewerber um einen Platz, in Brandenburg sogar vier.

Von den deutschlandweit 763.100 Bewerbern fand weniger als die Hälfte einen Ausbildungsplatz. Rund 80.000 zogen es daher vor, weiter zur Schule zu gehen oder ein Studium zu beginnen. Knapp 64.000 kamen in einer der zahlreichen Maßnahmen von Agentur und Bundesländern unter. Mehr als 110.000 gingen erst einmal zum Bund oder leisteten Zivildienst. 86.000 nahmen ohne Ausbildung einen Job an.

Ein Teil der Jugendlichen begibt sich damit allerdings nur in eine Warteschleife. „Wir erwarten, dass sich viele von denen im nächsten Jahr wieder bei uns bewerben“, heißt es aus der Nürnberger Zentrale. Wahrscheinlich ist daher, dass diese Bugwelle weiter wächst und damit auch die Lehrstellenlücke. Das liegt auch daran, dass seit der Verschärfung von Hartz IV mehr Druck ausgeübt wird – und an den neu eingeführten Studiengebühren.

Da hilft es wenig, dass insgesamt mehr Ausbildungsverträge abgeschlossen wurden als im vergangen Jahr. Das will zwar die große Koalition für sich verbuchen. Die Wirtschaft habe ihre Zusagen im Rahmen des Ausbildungspakts „ erheblich übertroffen“, lobte gestern Wirtschaftsminister Michael Glos (CSU). Und SPD-Bildungsexperte Jörg Tauss hält die Zahlen schlicht für „verwirrend“. Die Handelskammern hätten doch gerade erst eine viel positivere Bilanz gezogen.

Der Gewerkschaftsbund meint hingegen, dass die Regierung damit vor allem von dem alten Streit ablenke, ob Unternehmen, die nicht ausbilden, nicht zu einer Ausbildungsabgabe gezwungen werden müssten. „Die Koalition lässt sich mit diesem Pakt von der Wirtschaft an der Nase herumführen“, stichelt DGB-Bildungsexperte Hermann Nehls. Das werde schon an der Formulierung deutlich, die Wirtschaft wolle 30.000 „neue“ Stellen schaffen. „Es müsste ‚zusätzliche Stellen‘ heißen“, meint Nehls. Sonst komme die neue Stelle hinzu, und die alte falle weg, „klammheimlich“. Auch die gestern veröffentlichten Zahlen sind nach seiner Einschätzung noch viel dramatischer: Zu den ca. 49.500 Stellensuchenden kämen noch 100.000 in Einstiegs- und Fortbildungsmaßnahmen „Geparkte“, so Nehls.

Die Unternehmen, die sich nicht zwingen lassen wollen, sehen das natürlich anders. „Wer jetzt noch eine Stelle sucht, hat oft nur einen schlechten oder gar keinen Schulabschluss“, sagt Holger Lunau von der Internationalen Handelskammer Berlin. Bewerber könnten manchmal nicht richtig Deutsch oder müssten erst einmal lernen, morgens irgendwo pünktlich zu erscheinen. Auch bei der FDP hält man es für naiv, zu glauben, wenn nur genügend Lehrstellen geschaffen würden, kämen alle Bewerber unter. Schließlich seien trotz des Mangels an Ausbildungsplätzen mehr als 15.000 Lehrstellen unbesetzt. Patrick Meinhardt, bildungspolitischer Specher der Fraktion, plädiert daher zuallererst für eine Aufwertung der Hauptschule und für frühzeitigen Kontakt zu lokalen Betrieben. „Schon ab der siebten Klasse sollten Hauptschüler Praktika absolvieren um frühzeitig herauszufinden, wo sie hinwollen.“