Demografische Arbeitsmarktpolitik

Die Zahl der Jugendlichen geht zurück. Ein Effekt, der Arbeitslosigkeit beseitigt? Ein Studie kommt zu anderen Ergebnissen

BERLIN taz | Kann die Demografie die Probleme auf dem Ausbildungs- und Arbeitsmarkt lösen, so dass sich Ausbildungsplatzmangel und Arbeitslosigkeit künftig in Luft auflösen? Schließlich gehen Schätzungen davon aus, dass die Zahl der 16- bis 19-Jährigen von 2,69 Millionen (2008) auf circa 2,04 Millionen in 2025 sinkt. Bei den 17- bis 25-Jährigen soll es im gleichen Zeitrum einen Rückgang von 7,71 Millionen auf 6,52 Millionen geben.

Doch Experten sehen solche Hoffnungen auf quasi automatische Problemlösungen kritisch. In der Forschung bestehe „weitgehend Konsens darüber, dass die demografische Entwicklung nicht zwangsläufig zu einer Verlagerung der betroffenen Jugendlichen aus dem Übergangssystem in eine (duale) Berufsausbildung führt“, schreibt der Wirtschaftspädagoge Dieter Euler in seiner aktuellen Studie „Einfluss der demografischen Entwicklung auf das Übergangssystem und den Berufsausbildungsmarkt“. Euler hat die Studie im Auftrag der Bertelsmann Stiftung verfasst.

Das Übergangssystem umfasst vor allem einjährige Bildungsmaßnahmen wie das Berufsbildungsjahr. In dieser „Warteschleife“ finden sich einerseits Jugendliche wieder, die als noch nicht „ausbildungsreif“ eingestuft werden. Rund 100.000 sollen es sein, die in keiner Statistik aufgeführt werden, sagt der Deutsche Gewerkschaftsbund. Zum anderen geht es um Jugendliche, die schlichtweg keinen Ausbildungsplatz gefunden haben. Das ist eine beachtliche Zahl. 72.000 solcher Neuzugänge hat es allein zwischen Oktober 2009 und 2010 gegeben. 397.277 waren es insgesamt im Jahr 2008.

Die Zahl der Jugendlichen im Übergangssystem könnte, schreibt Euler mit Bezug auf den Nationalen Bildungsbericht von 2010, aufgrund der Demografie bis 2025 zwar zurückgehen, „jedoch immer noch auf einem Niveau von circa 238.000 Jugendlichen bestehen“ bleiben, wenn nicht gezielt gegengesteuert, das heißt beruflich besser qualifiziert werde. Es sei „prioritär“ bei den „Strukturschwächen des Übergangssystems“ durch geeignete Maßnahmen umzusteuern, schreibt Euler.

Die großen Verlierer wären Arbeitskräfte ohne Ausbildung: Die Wirtschaft brauche bis 2025 nur noch eine halbe Million solcher Erwerbstätigen. Zwar bildeten Gastronomie- und Reinigungsberufe für Geringqualifizierte „weiterhin einen potenziellen Beschäftigungsbereich“. Trotzdem schätzt Euler, dass die Anzahl der Geringqualifizierten in 2025 mit 1,3 Millionen die Zahl der benötigten Arbeitskräfte deutlich übersteigen wird.

Problematisch für Geringqualifizierte sei auch, dass immer mehr Hochschulberechtigte eine duale Ausbildung anstrebten. Dies führe zu einem Verdrängungswettbewerb um knappe Ausbildungsplätze“, schreibt Euler. Zudem sei in der vergangenen Dekade das betriebliche Ausbildungsplatzangebot deutlich gesunken: von 722.000 Plätzen 1992 auf 583.000 in 2009. Aktuell ergattern nur 20 Prozent der Jugendlichen ohne Hauptschulabschluss und 40 Prozent mit Hauptschulabschluss einen Ausbildungsplatz. EVA VÖLPEL