Der gläserne Campus-Messias

Im neuen „Studiverzeichnis“ sind nach nur einem Jahr über 600.000 Hochschüler miteinander vernetzt. Eine Scheu, zu viel von sich preiszugeben, haben die social Networker nicht. Wer besonders begeistert ist, kann Campus Captain werden

Social networking heißt das Zauberwort, also das Knüpfen von Beziehungen, die vor allem den Zweck haben, die eigene Karriere zu fördern. Derlei findet in den USA bereits seit ein paar Jahren vermehrt durch Internet-Portale wie MySpace, Friendster und andere statt. Speziell an StudentInnen richtet sich etwa die Seite www.facebook.com. Hier kann sich eintragen, wer ein College besucht um dann Kontakt zu anderen Studenten aufzunehmen.

Seit 2005 gibt es ein deutsches Äquivalent – das Studiverzeichnis (StudiVZ) zählt mittlerweile 600.000 Mitglieder europaweit, Tendenz steigend. Zum Vergleich: In Deutschland gibt es knapp zwei Millionen Studenten. Zur „Immatrikulation“ braucht es lediglich Namen und Hochschule. Dann erhalten die NutzerInnen ein Profil, auf dem sie Angaben zu ihrer Person machen und ein Bild von sich hochladen können – oder gar komplette Fotoalben anlegen. Eine Suchfunktion erlaubt es, andere Mitglieder im StudiVZ zu finden. Ihnen kann der Nutzer dann Nachrichten zuschicken, auf ihrem Profil einen für alle sichtbaren Kommentar hinterlassen und eine Freundschaftsanfrage senden – vorausgesetzt, die Nutzerin hat ihr Profil zur Ansicht für alle Mitglieder freigegeben.

Wird diese angenommen, erscheint ein Foto des anderen auf der jeweiligen Freundesliste. Anhand dieser Liste können andere Mitglieder also sehen, wer wen woher kennt, und vor allem: wie viele. Abgesehen von Personen kann der Nutzer auch nach Interessengruppen suchen oder gründen. Sehr beliebt sind Gruppen à la „Abi 2004 – xyzschule“.

Wer besonders Studiverzeichnis-begeistert ist, kann Campus Captain werden. Was das bedeutet? Der Erklärung des StudiVZ zufolge kann man ihn sich wohl als eine Mischung aus Jesus und Tom Cruise im Superman-Kostüm vorstellen. Tobias (22) ist einer von vier Campus Captains für die Uni Bremen. Ein Cape trägt er nicht, und er wirkt auch nicht wie ein übereifriger Missionar. Der Student sieht die Sache eher locker: „Klar, man wird darauf angesprochen, aber viel geändert hat sich eigentlich nicht, seit ich Campus Captain bin.“

Über die Kriterien, nach denen er ausgewählt wurde, kann Tobias nur spekulieren. „Ich bin ziemlich aktiv auf der Seite. Vielleicht hat ihnen mein Profil gefallen?“ Als Campus Captain macht Tobias Werbung für die Website und beantwortet Fragen von Studenten, die sich noch nicht so gut auskennen. Ihm gefalle am StudiVZ, dass alle überraschend ehrlich mit ihren Angaben seien. „Fast jeder gibt seinen richtigen Namen an. Das macht es weniger anonym und man lernt die Leute, mit denen man in den Vorlesungen sitzt, erst richtig kennen.“

Keine Angst, zu viel im Netz von sich preiszugeben? „Eigentlich nicht. Es kann ja jeder selbst bestimmen, welche Angaben er macht.“ Ganz so sorglos geht Tobias aber doch nicht mit dem Thema um. Bei bestimmten Diskussionen, die in einigen der Foren laufen, überlege er sich schon manchmal, ob er seine Ansicht offen legen sollte. „Bisher hat mich dieser Gedanke noch nicht davon abgehalten, einen Beitrag zu veröffentlichen – aber er ist schon da.“ Vielleicht ist es mit Social-networking-Seiten wie mit dem Rauchen: Eigentlich wissen es alle besser. SOW