„Das sind extreme Einzelfälle“

Richterbund-Chef Wolfgang Arenhövel lehnt Rechtsmittel gegen überlange Prozesse ab

taz: Herr Arenhövel, brauchen die deutschen Bürger mehr Schutz vor untätigen Richtern?

Wolfgang Arenhövel: Nein. Die Justiz in Deutschland arbeitet im Wesentlichen schnell und in sehr guter Qualität. Wenn sich einzelne Prozesse über Jahre hinziehen, dann sind das extreme Einzelfälle.

Was ist die Ursache für solche überlangen Prozesse?

Das sind oft äußerst komplexe Sachverhalte, zu deren Aufklärung wissenschaftliche Gutachten benötigt werden. Oder die Rechtsfragen sind sehr kompliziert, so dass ein Verfahren im Instanzenweg sehr viele Gerichte beschäftigt. Manchmal kommt noch das Pech dazu, dass ein Richter erkrankt und dann die Zuständigkeiten wechseln. Aber das alles ist nicht die Regel.

Justizministerin Zypries will eine Untätigkeitsbeschwerde einführen, damit die Bürger in solchen Ausnahmefällen eine Beschleunigung ihres Verfahrens erreichen können.

Das halte ich für ein Ablenkungsmanöver. Wenn die Justiz schneller werden soll, braucht sie mehr Personal. Es macht doch keinen Sinn, den einen Prozess zu beschleunigen, wenn dafür ein anderes Verfahren länger dauert.

Der Deutsche Richterbund lehnt die Einführung einer Untätigkeitsbeschwerde also ab?

Ja, denn die Justiz ist zusätzlich belastet, wenn sie bald auch noch die Untätigkeitsbeschwerden bearbeiten muss. Das ist nur ein neuer Anlass, die Akten hin und her zu schicken. Es darf auch nicht sein, dass künftig ein übergeordnetes Gericht dem Richter vorgibt, wie er Beweise erheben und welche Gutachter er auswählen soll. Das beeinträchtigt die richterliche Unabhängigkeit.

Auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat die Bundesrepublik Deutschland aufgefordert, ein Rechtsmittel gegen überlange Prozesse zu schaffen.

Ich halte das nur für eine Empfehlung, keine Pflicht. Die europäischen Richter sollten Deutschland lieber auffordern, mit dem Abbau der Richterstellen aufzuhören. Das ist das wirkliche Problem. An meinem Gericht, dem Oberlandesgericht Bremen, haben wir innerhalb von vier Jahren fast 20 Prozent unserer Stellen verloren.

Deutschland hat pro Kopf sechsmal so viel Richter wie England.

England hat ein anderes Rechtssystem als wir. In Europa liegt Deutschland bei der Richterdichte nicht an der Spitze.

Solange die Justiz Zeit hat, absurde Prozesse wegen durchgestrichener Hakenkreuze zu führen, kann die Überlastung wohl nicht so schlimm sein …

Dazu sage ich nichts.

INTERVIEW: CHRISTIAN RATH