Schrecken der Fundamentalisten

Die Journalistin und Islamwissenschaftlerin Julia Gerlach spürt dem Befinden jugendlicher Pop-Muslime nach. „Zwischen Pop und Dschihad“ ist einer der wichtigsten Beiträge zur gegenwärtigen Islam-Debatte in Deutschland

Vorigen Monat lud der Berliner Muslim-Verband „Inssan“ zu einem Großfestival. Ein Hauch von Kirchentagsatmosphäre lag über dem Gelände, auf dem sich 5.000 Menschen versammelt hatten, um den frommen Balladen des Popsängers Sami Yusuf aus London oder den gottgefälligen Hiphop-Beats des Rappers Ammar 114 aus Frankfurt zu lauschen. Islamische Verbände informierten über ihre Aktivitäten, daneben gab es Kinderbücher mit Erbauungsgeschichten aus dem Koran, aber auch frische Falafel und indonesische Frühlingsrollen. Viele Familien waren mit ihren Kindern angereist. Aber das Bild dominierte die muslimisch bewegte Jugend.

Das sind die Leute, von denen Julia Gerlach in ihrem Buch über „Muslimische Jugendliche in Deutschland“ berichtet. Einige kommen bei ihr auch selbst zu Wort: die Sportstudentin Hamide Yilmaz, die ihren Job in einem Fitnesscenter quittiert hat, nachdem sie dort ihr Kopftuch ablegen sollte. Saber Ben Neticha und seine Frau Verena, die Sportswear mit „Mecca“-Schriftzug entwerfen und über ihre Online-Boutique vertreiben. Oder der Mainzer Student Abdurrahim Kutlucan, dem aufgrund seiner Mitgliedschaft bei Milli Görüs nachträglich die deutsche Staatsbürgerschaft aberkannt werden soll.

„Zwischen Pop und Dschihad“ ist, das lässt sich ohne Übertreibung sagen, einer der wichtigsten Beiträge zur aktuellen Islam-Debatte in Deutschland. Zwar gab es, zum Jahrestag der Anschläge vom 11. September, gerade erst wieder eine Flut von Veröffentlichungen, die sich der Terrorgefahr durch Islamisten widmeten. Doch diese Fixierung auf al-Qaida und Co. ist problematisch, weil so das normale muslimische Leben in Deutschland aus dem Blick gerät.

Die jungen „Pop-Muslime“, wie Julia Gerlach sie nennt, bilden dabei die spannendste Facette: Diese jungen Einwandererkinder sind stärker aufstiegsorientiert, zugleich aber auch frommer als der Durchschnitt ihrer Altersgenossen. Sie wollen sich in die Gesellschaft integrieren, allerdings nicht auf Kosten ihrer religiösen Überzeugungen. Sie wollen keinen islamischen Staat gründen, sondern andere durch ihr positives Vorbild von ihrem Glauben überzeugen. Sie suchen den Mittelweg zwischen Rückzug in die Parallelgesellschaft und lautloser Assimilation. Sie bekennen sich zu Rechtsstaat und Demokratie, wollen aber auf Kopftuch und konservative Sexualmoral nicht verzichten.

Die Autorin ist studierte Islamwissenschaftlerin und Fernsehjournalistin beim ZDF, ihr Buch ist deshalb ebenso anschaulich wie sachkundig geschrieben. In einem instruktiven Überblick zeichnet sie die ideologischen Ursprünge dieser religiösen Revival-Bewegung nach, die in der arabischen Welt liegen. Ihre heutigen Leitfiguren sind der populäre Fernsehprediger Amr Khaled aus Ägypten, der umstrittene Rechtsgelehrte Yusuf al-Qaradawi, der auf al-Dschazira seine Ratschläge gibt, oder intellektuelle Vordenker wie Tariq Ramadan. Fundamentalisten sind sie ein Graus, vertreten sie doch in deren Augen eine weichgespülte Version des Islam, der ihn zur reinen Lifestyle-Frage reduziere. Westlichen Beobachtern sind sie wiederum suspekt, weil der wahre Glauben bei ihnen letztlich an erster Stelle steht.

Julia Gerlach zeigt, wie sich die jungen Pop-Muslime in die Landkarte des traditionellen, überwiegend türkisch geprägten Islam in Deutschland einfügen. Und sie empfiehlt, ihr Sendungsbewusstsein für den Kampf gegen den Terror zu nutzen. Denn sie verstehen sich als europäische Muslime und wollen Vorbilder sein. Sie könnten auch ein Vorbild für die Integration der Muslime in Europa sein, wenn man ihnen diese Chance gibt.

Vor romantischen Illusionen hütet sich die Autorin und nennt auch die Knackpunkte für den Dialog: Relativierung von Gewalt oder Antisemitismus müssen tabu bleiben, das konservative Geschlechterbild bleibt heikel. Keine Frage, das Weltbild der Pop-Muslime ist nicht unbedingt liberal, das wird deutlich. Dennoch ist es eine Alternative zum nihilistischen Dschihad-Islam eines Ussama Bin Laden. Der Westen sollte sie mit gutem Grund unterstützen, so Gerlachs Plädoyer. Auch wer ihr dabei nicht folgen möchte, sollte ihr Buch gelesen haben.

DANIEL BAX

Julia Gerlach: „Zwischen Pop und Dschihad. Muslimische Jugendliche in Deutschland“. Links Verlag, Berlin 2006, 256 Seiten, 16,90 Euro