Brutale Jagd auf „Jomo Gbomo“

NIGERIA Nach neuer Terrordrohung verschleppen Bewaffnete den Bruder des in Südafrika inhaftierten Ölrebellenführers Henry Okah. Seine Ehefrau berichtet

Einen Haftbefehl hatten die Männer nicht, als sie Charles Okah mitnahmen

JOHANNESBURG taz | „Es sind gleich 48 Stunden her, dass mein Mann aus unserem Haus verschleppt worden ist“, sagt Angela Uchechi Okah. Noch hat sie jedoch kein Lebenszeichen von ihrem Ehemann Charles Okah. Der Bruder des in Südafrika unter Terrorverdacht inhaftierten Henry Okah, ein ehemaliger Mitanführer der in Nigerias Ölgebieten aktiven Rebellenbewegung MEND (Bewegung für die Emanzipation des Niger-Deltas), wurde am Samstag von der Polizei aus seinem Haus in Nigerias größter Stadt Lagos verschleppt und ist seitdem ebenso wie sein Sohn verschwunden.

„Die Zeitungen schreiben, er sei nach Abuja gebracht worden“, erklärt die Ehefrau weiter telefonisch gegenüber der taz. Sie habe aber keine Anhaltspunkte dafür, dass Charles Okah sich jetzt wirklich in Nigerias Hauptstadt befinde. „Ich mache mir auch große Sorgen um meinen Sohn, der gerade einen Motorradunfall hatte. Sein mit Brandwunden überzogenes Bein ist noch nicht verheilt.“

Gegen 15 Uhr am Samstag, sagt Angela Okah, verschafften sich etwa 15 bewaffnete Männer gewaltsam Eingang zu ihrem Haus in Lagos. „Ich war gerade auf dem Weg aus dem Haus, als ich lautes Klopfen an unserem Tor hörte“, erzählt sie. Sie fragte, was los sei. Sofort stürmte eine Schar von Männern den Eingang. Sie riefen, sie solle sich auf den Boden legen oder sie würden schießen. Angela Okah weigerte sich. Sie hatte ihren einjährigen Sohn auf dem Arm, eine Freundin war auch zu Besuch. Die Männer in kugelsicheren Westen machten klar, wen sie suchten: ihren Ehemann Charles. Einen Haftbefehl hatten sie nicht. Sie enterten durch die Küchentür, fanden ihren 23-jährigen Sohn mit einem Freund und drohten, ihn zu töten, wenn sie nicht ihre Telefone aushändigten. Der 48-jährige Charles Okah kam aus dem Obergeschoss. Die Männer warfen ihn zu Boden, legten ihm Handschellen an und beschlagnahmten Computer, Telefone und Dokumente.

Ehefrau Angela weist alle Verdächtigungen von sich, wonach Charles ebenso wie sein Bruder Henry mit MEND zusammenarbeite und damit für die Bombenanschläge mitverantwortlich sein könnte, die am 1. Oktober in Abuja 12 Tote forderten und zu denen sich MEND bekannte. „Er ist nur ein normaler Mensch, er hat eine Beziehung zu seinem Bruder Henry, aber nicht zu MEND“, glaubt die Ehefrau.

Henry Okah steht derzeit in Johannesburg als mutmaßlicher Drahtzieher der Bombenattentate vor Gericht. Dort wurde gestern immer noch sein Antrag auf Kaution verhandelt. Das Nigerdelta ist Nigerias reichstes Ölgebiet, doch die Bevölkerung hat so gut wie nichts davon. MEND kämpft gegen die Ausbeutung des Gebiets, auch mit Gewalt.

Nigerias Regierung glaubt, dass E-Mails, die am Freitag versendet wurden und vor erneuten Anschlägen warnten, von irgendwo innerhalb Nigerias geschickt worden seien. Sie seien mit dem üblichen MEND-Pseudonym „Jomo Gbomo“ unterschrieben gewesen. Jomo Gbomo sei eigentlich Charles Okah, hieß es am Wochenende von offizieller Seite. Seine Frau weist dies zurück: Charles sei bloß ein Geschäftsmann, der eine US-Firma vertrete, die schwimmende Hafenanlagen für die Ölförderung vertreibe.

Ihre Versuche, den Verbleib ihres Ehemannes und Sohnes zu erfahren, sind bislang vergebens. Auch der Freund des Sohnes, der Wächter und eine weitere Person seien mitgenommen worden. „Es macht keinen Sinn, zur Polizei zu gehen“, sagt sie. „Nicht in einem Land wie Nigeria.“ MARTINA SCHWIKOWSKI