islam, mozart etc.
: Opernbesuch als Herausforderung

Kunst ist eine Zumutung! Wenn die Diskussion über die Absetzung der Oper „Idomeneo“ vom Spielplan der Deutschen Oper in Berlin etwas Gutes hat, dann, dass sie daran erinnert. Und wenn man begrüßen will, dass sich die Teilnehmer der „Deutschen Islamkonferenz“ des Bundesinnenministers nun gemeinsam Mozarts Oper anschauen wollen, so sie denn wieder aufgeführt wird, dann deswegen, weil der gemeinsame Kunstgenuss ein zivilisatorischer Akt erster Güte ist, von dessen Unwahrscheinlichkeit wir kaum noch eine Vorstellung haben.

Denn, Hand aufs Herz, wer wundert sich noch darüber, dass in unserer „modernen“ Gesellschaft ein Kunstbetrieb tagaus, tagein Gedichte und Romane, Gemälde und Plastiken, Musik und Theater produziert und verbreitet, die es mit nichts anderem zu tun haben als mit der menschlichen Wahrnehmung von Bild und Ton, Geste und Gefühl, die uns stammeln lassen, wenn wir versuchen, sie zum Ausdruck zu bringen? Wer macht sich noch klar, welches Sinnestraining wir absolviert haben müssen, um Museumsbesuche, Opernaufführungen, Theaterabende und Kinovorstellungen, ganz zu schweigen von der Lektüre von Poesie und Prosa, einigermaßen unbeschadet zu überstehen? Wer sich aus welchen Gründen auch immer, seien es die Gewissheiten der patriarchalen Stammesgesellschaft, seien es die Drohungen und Tröstungen der Religion, seien es die Hilfestellungen einer Theorie der Gesellschaft, auch nur einen Funken Distanz gegenüber diesem modernen Leben bewahrt hat, kann angesichts ihres Kunstgenusses nur auf die Idee kommen, es mit Dekadenz schlechthin zu tun zu haben. Da stehen die Leute vor überwältigenden Bildern, hören wunderschöne Musik, verfolgen den anmutigsten Tanz und schauen den bewegendsten Film, und was passiert, nichts! Das ist doch der Ruin einer Menschheit, der nichts mehr heilig ist!

Wenn die Islamkonferenz gemeinsam in die Mozart-Oper geht, stellt sie sich einer der größten Herausforderungen, die die moderne Gesellschaft zu bieten hat. Sie mutet sich einen Kunstgenuss zu, über den man nicht sprechen kann und den man doch teilen kann. Sie lässt sich auf die hochgradige Zähmung der Kunst zur „Kultur“ ein, die es uns erlaubt, uns individuell berühren zu lassen, sozial zugleich cool zu bleiben und für beides auch noch eine Form des Small Talks zu finden. Die Kunst verhandelt das Drama des Menschen, zum Beispiel Mozart den gar nicht triumphierenden, sondern fast verzweifelten Ausbruch des Individuums aus der höfischen Gesellschaft, und wir beantworten dies mit einem Glas Sekt in der Hand, als ginge es uns nichts an, während wir uns freundlich bestätigen, alles verstanden zu haben, und den Ausrutscher des Oboisten kommentieren. Die Islamkonferenz in der Oper wäre der Beweis dafür, dass man das nicht nur können muss, sondern auch können kann.

DIRK BAECKER