Wer rein darf und wer nicht

EINREISE Derzeit begegnen sich im Studio 44 internationale KünstlerInnen, um ihre Erfahrungen zu „Gender and Tradition“ zusammenzutragen. Ein ansprechendes Ideenfeuerwerk – aber nicht alle durften kommen

Die Schwierigkeiten bei der Visavergabe sind nicht neu. Aber sie verschärfen sich in den letzten Jahren, so die Erfahrung aus deutschen Theatern

VON ASTRID KAMINSKI

Ein Soloviolinist wurde vom Intendanten eines Konzerthauses engagiert. Am Aufführungsabend will er das Konzertgebäude betreten, aber der Pförtner lässt ihn nicht durch. Grund: Der Geigenkasten kommt ihm verdächtig vor. Das ist kein Musikerwitz, sondern in etwa die Rolle der deutschen Konsulate und der europäischen Außenpolitik bei der deutschen Kulturförderung.

Von 2012 bis 2018 hat sich die Kulturstiftung des Bundes (KdB) eine Förderung des Kulturaustauschs mit Künstlern aus afrikanischen Ländern vorgenommen. Man kann Anhänger dirigistischer Kulturpolitik sein oder nicht – das Programm wird gut angenommen. Im Tanzbereich sind derzeit die Ergebnisse zweier in diesem Zusammenhang entstandener Projekte zu sehen. Beziehungsweise nicht zu sehen.

Zum einen tourt Dance Dialogues Africa, eine gemeinsame Initiative von Kampnagel in Hamburg, Tanzhaus NRW in Düsseldorf, Festspielhaus Hellerau in Dresden und fünf afrikanischen Partnerinstitutionen. Zum anderen hat die Berliner Choreographin Constanza Macras mit ihrer Kompagnie DorkyPark ein Austauschprogramm geschaffen: Künstler aus ihrem südafrikanischen Netzwerk kommen für zwei bis drei Wochen ins Studio 44, das Probeloft der Kompagnie, um dort mit europäischen Künstlern zusammen Stückideen zum Thema „Gender and Tradition“ zu entwickeln.

An zwei Präsentationsterminen ist jedoch teils ein Balken über die ursprünglichen Veranstaltungen gezogen. Für zwei Beteiligte gab es kein Visum. Ähnliches gilt für Dance Dialogues Africa. Hier konnten vier Teilnehmer nicht anreisen.

Zu Begründungen sind die Konsulate nicht verpflichtet. Aber das belgische Konsulat ist zuvorkommen und nennt einem Dance-Dialogues-Vertreter einen möglichen Grund für die Ablehnung der Visa von zwei Künstlern aus Kongo: „Männlich, jung, ledig, geringes Einkommen.“ Warum kommt dieser Tipp nicht aus dem deutschen Konsulat? Aus zwei Gründen: Erstens ist es nicht ungewöhnlich, dass Visaformalitäten aufgrund von Sparmaßnahmen ausgelagert werden. Zweitens geht die Tendenz bei Kurzzeitvisa-Gesuchen zur supranationalen Abwicklung für den gesamten Schengenraum.

Aus der Visa-Abteilung des deutschen Konsulats in Kinshasa heißt es, dass dadurch „Visa-Shopping“ vermieden werde. Hinter dem Begriff verbirgt sich die Erfahrung, dass Personen, die in den Schengen-Raum reisen möchten, es „mit der einen Story“ bei der einen Botschaft, und wenn sie keinen Erfolg hätten, „mit einer anderen Story“ bei der nächsten versuchen würden. Mit einer zentralen Anlaufstelle spart man sich also Verwaltungsaufwand, um nicht auf Geschichtenerzähler hereinzufallen.

In Kinshasa übernimmt die belgisch verwaltete Maison Schengen die Kompetenzen. Belgier und Kongolesen kennen sich schon lange, da ist es naheliegend, dass die Nachfahren von Leopold II. entscheiden, wer nach Europa kommt und wer nicht. Also gehen kongolesische Künstler mit ihren deutschen Unterlagen (Einladungsschreiben, Bestätigung der Krankenversicherung, Bürgschaft etc.) zu den Belgiern. Wie kann man sich das formal vorstellen? Die Frage geht wiederum an die Visa-Abteilung des deutschen Konsulats. Werden die Unterlagen übersetzt?

Das sei nicht nötig, Deutsch sei die dritte Amtssprache Belgiens. Wenn diese Tatsache auch wenig bekannt ist: Der Bevölkerungsanteil im deutschsprachigen Ostbelgien beträgt in etwa 0,7% der Gesamtbevölkerung. Das sind immerhin mehrere Tausend Menschen, die in der DR Kongo aushelfen könnten. Dennoch bietet die Website der Maison Schengen als Sprachoptionen nur „fr“ oder „nl“ an. Neben Deutschland vertritt die Einrichtung noch 15 weitere europäische Länder.

Die Hotelkosten für die Wartezeit auf das Visum, die Kosten für verschobene und letztendlich nicht angetretene Flüge etc. (der Arbeitsaufwand der Projektmanager an deutschen Theatern nicht eingerechnet) beliefen sich allein für die zwei kongolesischen Künstler auf etwa 6000 Euro. Gedeckt durch großenteils von der KdB verwaltete Steuergelder, die zur Kulturförderung vorgesehen waren.

Die Schwierigkeiten bei der Visavergabe sind nicht neu. Aber sie verschärfen sich in den letzten Jahren, so die Erfahrung aus deutschen Theatern. Wäre es nicht an der Zeit, dass KulturpolitikerInnen sich überlegen, wie sinnvoll ihre Arbeit bei entsprechenden außenpolitischen Tendenzen ist und anfangen, effektiv gegenzusteuern statt den Theatern die Arbeit zu überlassen? Schließlich sind sie nicht in erster Linie Kuratoren, sondern Politiker.

Für die betroffenen internationalen Künstler kann vielleicht ein zentrales Bild aus Lucky Keles und Ronni Maciels im Studio 44 gezeigten Stückentwurf sprechen: eine Treppe hinaufgehen und nach der letzten Stufe ins Leere stürzen.

■ „On Fire“: Zwei weitere Work-in-Progress-Arbeiten sind am 5. 4. sowie am 25./26. 4. zu sehen. Ort: Loft 44, Klosterstraße

■ Dance Dialogues Africa tourt noch bis zum 12. April