Der Dauerläufer

Bernd Hübner ist mit Sicherheit nicht der Schnellste unter den 40.000 beim Berlin-Marathon. Aber der 59-Jährige ist der Einzige, der alle 33 Berliner Rennen absolviert hat. Für Amateure ist er ein Star

„Wegen einem Meier, Schulze oder Hübner kommt keiner zum Marathon“

von Johannes Kopp

Wer beim Berlin-Marathon starten möchte, muss einen kleinen Umstand in Kauf nehmen. Die Laufwilligen müssen zuvor zur Ausstellung „Berlin Vital“ nach Charlottenburg kommen. Denn hier bei der Messe für Ausdauersportarten werden bis heute die Startnummern für Sonntag ausgegeben. Den Sportartikelherstellern ist so reichlich Laufkundschaft garantiert. Über 40.000 Teilnehmer haben sich angemeldet. Marathonlaufen ist längst zu einem Breitensport geworden, der Geschäftsinteressen auf sich zieht.

Auf der Messe gibt es allerdings einen in dieser großen Masse an Breitensportlern, der herausragt: Bernd Hübner. 1974 startete der damals 23-Jähriger beim ersten Berlin-Marathon mit knapp 300 Läufern. Morgen tritt er zum 33. Mal an. Der 59-Jährige ist der Einzige, der bei allen Berliner 42-Kilometer-Rennen mitgelaufen ist. Zudem erreichte er stets das Ziel.

Bei der „Berlin Vital“-Messe betreut Hübner den Stand des Jubilee-Clubs. Dem gehören nur Läufer an, die mindestens zehn Marathons in Berlin bewältigt haben. Es ist eine Art Veteranentreff, auf dem man sich gegenseitig hilft, die alten Zeiten lebendig werden zu lassen. „Du bist unser Star“, sagt ein Laufkollege zu Hübner. Dieser winkt ab. Davon will er nichts wissen. Dabei ist er schon seit Jahren der gefeierte Freizeitsportler Berlins. Die Presse würdigte ihn als „Marathon-Urgestein“, „Lauflegende“ und „Asphaltkönig“. Und Horst Milde, langjähriger Renndirektor des Berlin-Marathons sagte einmal: „Er ist für uns das Aushängeschild.“

Zum 25-jährigen Jubiläum des Berlin-Marathons besannen sich die Organisatoren auf ihre Historie. Dabei waren sie auf den Pionier Hübner gestoßen, der von Anfang an mit dabei war. Neben der Laufstrecke hatte Hübner seither so manchen Medienmarathon zu überstehen, wie er selbst sagt. Er nimmt diese Rolle jedoch bereitwillig an. Der gelernte Fernmeldehandwerker sieht sich als Botschafter seiner Sportart. Sein fröhliches und offenes Wesen prädestiniert ihn dazu.

Auch letztes Jahr, nach einem schweren persönlichen Schicksalsschlag, stellte er sich der Öffentlichkeit. Bei Hübner wurde Prostatakrebs diagnostiziert. Die Krankheit konnte erfolgreich behandelt werden, und er startete noch im selben Jahr wieder. Das öffentliche Interesse an ihm war nun noch stärker als sonst. Für den RBB unterbrach er seinen Lauf sechsmal. Zuweilen musste Hübner sogar einige Minuten auf das Kamerateam warten, um dann live von seiner schweren Krankheit zu erzählen. Er wollte die ihm gewidmete Aufmerksamkeit nutzen, um Leidensgenossen ein Vorbild an Willenskraft zu sein.

Auch wenn Hübner ein gefragter Mann ist, so weiß er doch alle Aufregung richtig einzuordnen. „Wegen einem Meier, Schulze oder Hübner kommt in Berlin keiner zum Marathon“, sagt er. Die Leute wollten Stars wie den Äthiopier Haile Gebrselassie sehen, der sich einen neuen Weltrekord zum Ziel gesetzt hat. „Wir sind nur das nötige Beiwerk“, erklärt Hübner. Doch genau in diesem Rahmen hat der Serienmarathonläufer sein Aufgabenfeld gefunden. Auf seiner Visitenkarte hat er als Tätigkeit „Laufbetreuer“ angegeben.

Die Beschäftigung mit Hobbyläufern füllt ihn seit seiner Pensionierung rund um die Uhr aus. Im Sommer begleitet er sieben Laufgruppen in der Woche. Jeden Tag eine. Am vorletzten Sonntag kamen sogar über hundert Leute zum Kaffeeplauschlauf – wie ihn Hübner nennt. Er führte über 33 Kilometer. Dazu organisiert und verwaltet er Internetforen, in denen sich Laufinteressierte austauschen. Oft sitzt er bis Mitternacht am Computer. Jetzt hat er auch noch seine Erinnerungen an die Berliner Marathonläufe in einem Buch festgehalten.

In Analogie zum „Turnvater Jahn“ könnte man ihn als „Laufvater Hübner“ bezeichnen. Auf der letzten Weihnachtsfeier einer seiner Gruppen habe er jeden einzelnen Läufer vorgestellt, indem er ihn für Erreichtes und Geleistetes belobigt hat, erzählt er. Eine klassische Vaterfigur eben. Umgekehrt besteht bei den Laufgruppenteilnehmern offenbar das Bedürfnis, sich unter dem Namen des Laufpatrons zu scharen. Beim morgigen Marathon treten 40 Berliner unter der Kollektivbezeichnung „Lauftreff Hübner“ an. Der Geehrte legt Wert auf die Feststellung, dass die Idee dazu nicht von ihm gekommen sei.

Trotz seines großen Engagements für andere setzt sich Hübner nach wie vor ehrgeizige persönliche Ziele. Am Sonntag will er den Marathon eine Stunde schneller laufen als im Vorjahr, nämlich in 3:30 Stunden. Und Hübner hat eine ganz große Vision: 2023 möchte er seinen 50. Marathon in Berlin bestreiten.