Förderschüler liegen zurück

STUDIE Mehr als die Hälfte der Jugendlichen ohne Schulabschluss stammt aus Förderschulen – besonders im Osten. Wird dort strenger aussortiert?

„Wer an die Schulabbrecherquote ranwill, muss an diese Schulform ran“

BERLIN taz | Das Risiko, keinen Schulabschluss zu bekommen, ist vom Wohnort abhängig. Die Quote der Jugendlichen ohne Hauptschulabschluss ist im Osten Deutschlands deutlich höher als im Westen.

Das zeigt eine Studie des Bildungsforschers Klaus Klemm, die die Bertelsmann-Stiftung in Auftrag gab und am Freitag veröffentlichte. Während in Baden-Württemberg 2008 rund sechs Prozent der Abgänger die Schule ohne Abschluss verließen, waren es in Mecklenburg-Vorpommern laut Studie fast 18 Prozent. Dessen Kultusministerium kann den Wert nicht nachvollziehen. Laut einem Sprecher haben nur 10 Prozent keinen regulären Abschluss. Damit läge das Land dennoch über dem Schnitt. Deutschlandweit verließen rund 65.000 Jugendliche im Jahre 2008 die Schule ohne Abschluss – 7,5 Prozent eines Jahrgangs.

Dabei stammen die meisten Schulabbrecher aus einer Randschulform – den Förderschulen. Diese unterrichten bundesweit 400.000 behinderte, verhaltensauffällige und lernschwache SchülerInnen gesondert vom Rest der Schülerschaft. Drei Viertel der Förderschüler verlassen die Schule derzeit ohne allgemeinbildenden Abschluss. Sie stellen damit über die Hälfte der Jugendlichen ohne Hauptschulabschluss.

Der Anteil der Schüler in Förderschulen ist in Ostdeutschland deutlich höher als im Westen. In Mecklenburg-Vorpommern besuchen 9 Prozent eine Förderschule – in Hessen halb so viele. Forscher Klemm vermutet, dass die Pädagogen in den neuen Ländern strenger aussortieren. Die schwächsten 10 Prozent der sächsischen Schüler erreichten etwa bei bundesweiten Lesevergleichen weitaus bessere Resultate als das untere Zehntel in vielen westlichen Bundesländern. Zu Klemms Hypothese passt, dass die Abiturientenquote im Osten über dem Schnitt liegt: „Offenbar ist man unten schärfer beim Rausschmeißen, oben gelten aber die gleichen Standards“, so Klemm. In der Förderschule sieht er eine bildungspolitische Sackgasse. „Wer an die Schulabbrecherquote ranwill, muss an diese Schulform ran“, sagt er.

Der Sonderberichterstatter der Vereinten Nationen, Vernor Muñoz Villalobos, hatte mehrfach kritisiert, dass Deutschland mit dem Förderschulsystem Schüler benachteilige und das Menschenrecht auf Bildung verletze. Im Jahre 2009 verpflichtete sich Deutschland, besondere Schüler besser zu integrieren, und unterschrieb die UN-Konvention für ein inklusives Bildungssystem. Auf der Insel Rügen funktioniert das seit diesem Jahr: „Hier haben wir die UN-Konvention schon umgesetzt“, so Ulf Tielking vom mecklenburgischen Kultusministerium.

ANNA LEHMANN

Meinung + Duskussion SEITE 12