Schulbank? Gern von fern

WORLD WIDE WALDORF Viele Waldorflehrer sind Quereinsteiger, ein Fernstudiengang in Jena soll den berufsbegleitenden Wechsel zur Waldorfschule erleichtern

„Wir setzen viel Vertrauen in die mündige Persönlichkeit, Eigenverantwortung und Selbstausbildung des Einzelnen“

FRIEDHELM GARBE, STUDIENLEITER

VON HEIDE REINHÄCKEL

Anthroposophisches E-Learning – gibt’s das? „Nicht wirklich“, sagt Friedhelm Garbe, „wir versenden unsere Materialien für das Selbststudium noch ganz klassisch per Post als Ordner.“ Doch völlig offline, so der Studienleiter eines Fernstudiengangs für Waldorf-Pädagogik in Jena, läuft auch am dortigen Seminar für Pädagogische Praxis schon längst nichts mehr: „Bei der Kommunikation mit den Studierenden sind natürlich E-Mail und Skype unverzichtbar.“

Bereits mit dem klassischen Fernstudien-Paketen per Post haben die Jenenser die Nase vorn. Nach Angaben des Bundes der Freien Waldorfschulen gibt es nämlich bundesweit zwar elf Lehrerseminare und über 40 berufsbegleitende Ausbildungskurse für Waldorflehrer. Aber nur einen einzigen Fernstudiengang, eben jenen „made in Thüringen“. Garbe hat dieses Angebot gemeinsam mit dem 2009 verstorbenen Waldorflehrerausbilder Rainer Kubiessa ins Leben gerufen.

„Wir haben nach einer zeitgemäßen Form der Erwachsenenbildung gesucht. Damals gab es rund 200 Waldorfschulen sowie weniger als zehn Lehrerseminare und es herrschte schon akuter Lehrermangel. Viele Lehrer ohne waldorfpädagogische Ausbildung unterrichteten an Waldorfschulen, um den Schulbetrieb am Laufen zu halten“, erinnert sich Garbe, der parallel zu seiner Funktion als Studiengangsleiter des Fernstudiums als Klassenlehrer an der Jenaer Waldorfschule arbeitet.

Der Fernstudiengang kombiniert Selbststudium und Präsenzzeiten in Jena, die in Form von Wochenendseminaren oder Blockwochen stattfinden. „Wir sind eigentlich ein klassisches Lehrerseminar für Quereinsteiger, aufgrund des Fernstudiums setzen wir aber viel Vertrauen in die mündige Persönlichkeit, Eigenverantwortung und Selbstausbildung des Einzelnen“, so Garbe. Nach einer Studienzeit von zweieinhalb bis drei Jahren, bestehend aus Grundstudium und einem Praxisjahr, erhalten die Studierenden ein Diplom, das vom Bund der Freien Waldorfschulen sowie der Vereinigung der Waldorfkindergärten anerkannt ist. Durchschnittlich 30 Studierende beginnen jedes Jahr das rund 4.000 Euro teure Fernstudium, von denen die Hälfte bereits an Waldorfschulen unterrichtet. „Der Frauenanteil beträgt etwa 70 Prozent, was wohl der typischen Erwerbsbiografie von Frauen geschuldet ist, die kinderbedingt oft für lange Zeit aussetzen“, sagt Garbe. Die Nachfrage kommt mittlerweile nicht nur aus Deutschland und Europa, in Einzelfällen reisen die Seminaristen zu den Terminen in Jena sogar aus Übersee an, etwa aus Singapur oder den USA an.

„Ich erlebe das Seminar in Jena als progressiv. Es geht weder in die versteinerte Orthodoxie hinein noch Richtung Softgymnasium für die Bildungseliten“, sagt Jörg-Stephan Mohr. Er hat Ende 2012 mit dem Selbststudium begonnen und Anfang 2013 die ersten Präsenzseminare in den Räumen der Waldorfschule in Jena-Göschwitz besucht. Mohr ist ein typischer Quereinsteiger: Nach einem Lehramtsstudium in Heidelberg, Dunedin (NZ) und Tübingen in Englisch, Geschichte und Philosophie hatte er ein Referendariat in Erfurt begonnen, aus Unzufriedenheit aber nicht beendet und sich dann für den Fernstudiengang in Jena entschieden.

Seit Sommer letzten Jahres unterrichtet er als Fachlehrer für Geschichte und Englisch an der Annie Heuser Waldorfschule in Berlin-Wilmersdorf, wo er, begleitet von einem Mentor, ab Herbst das Praxisjahr absolvieren wird. Hört man dem begeisterungsfähigen Nachwuchslehrer zu, der auch ein Blog für seine Schüler betreibt, bekommt man einen guten Eindruck vom positiven Arbeitsklima der Thüringer Waldorflehrerschmiede. „Wir kommen aus sehr verschiedenen Lebenssituationen und Kontexten, einige sogar aus Russland oder Amerika.“

Die Eigenverantwortung des Fernstudiums war für Mohr die richtige Entscheidung: „Ich bin mehr ein autodidaktisch veranlagter Typ. Was mir am Fernstudium besonders gut gefällt, ist, dass man erst einmal schauen muss, wie funktioniert eigentlich mein eigenes Lernen, bevor man sich damit befasst, wie Lernprozesse bei den Schülern ablaufen“, so Mohr. Er reist gerne zu den Veranstaltungen in den Räumen der Waldorfschule in Jena-Göschwitz an, wo ihm besonders die künstlerischen Workshops während der dortigen Wochenendseminare gefallen.

Wiebke Amthor hat das Fernstudium im Juni 2013 abgeschlossen und unterrichtet in der Oberstufe Deutsch und Geschichte an den Waldorfschulen in Kreuzlingen und Überlingen. Die promovierte Germanistin hat lange an der FU Berlin als wissenschaftliche Mitarbeiterin gearbeitet hat und wollte eigentlich nie Lehrerin werden. Doch die Ausbildung in Jena war offenbar die richtige Entscheidung: „Als besonders bereichernd empfand ich es, dass die Lektionen im Grundstudium die gesamte Schulzeit umfassen. Als Oberstufenlehrer beschäftigt man sich mit der Erziehung im Kindergarten ebenso wie mit der Klassenlehrer- und Oberstufenzeit, darüber hinaus werden etwa auch die Idee der sozialen Dreigliederung und die Interaktion mit Schülern, Eltern, Kollegen in eigenen Lektionen behandelt.“

Wie Mohr unterrichtete sie bereits parallel zum Grundstudium an einer Waldorfschule. Momentan besucht sie zur Weiterbildung noch Kurse zur Fachdidaktik am Lehrerseminar für Waldorfpädagogik in Kassel. Waldorfpädagogik als einen Lernprozess zu betrachten, der nie abgeschlossen ist – auch das hat sie in Jena gelernt.

waldorf-fernstudium.de