„Ich muss den Amerikanern dankbar sein“

Die Kurden in der Türkei haben noch keine volle Gleichberechtigung erhalten, sagt der kurdische Sänger Ciwan Haco. Doch um ihre Rechte zu bekommen, müssen sie den bewaffneten Kampf aufgeben: sonst werden sie verlieren

Herr Haco, zwei Wochen nach den Anschlägen in türkischen Urlaubszentren ist vor drei Tagen im kurdischen Diyarbakir eine Bombe explodiert. Was denken Sie darüber?

Ciwan Haco: Die Türkei lebt zurzeit in einem großen Chaos. Keiner weiß so genau, wer hinter diesen Anschlägen steckt. Es ist immer leicht, die PKK deshalb anzuklagen. Aber es gibt auch viele Stimmen, die meinen, dass der türkische Staat in gewisse Machenschaften verstrickt ist.

Zu den Anschlägen in Istanbul und Antalya hat sich eine Organisation namens „Kurdische Freiheitsfalken“ bekannt.

Ich lehne das ab, ich gegen jede Form von Gewalt. Dass unschuldige Menschen verletzt oder getötet werden, ist für mich pure Idiotie. Aber das Problem ist, dass die kurdische Frage in der Türkei noch immer ungelöst ist. Und so lange das so bleibt, wird es auch Gewalt geben.

Mittlerweile genießen die Kurden in der Türkei doch viele Freiheiten, oder nicht?

Was sind das für Rechte? Das ich jetzt in Istanbul ein Konzert geben darf, dass die Kurden ihr Neujahrsfest Newroz feiern können? Das ist doch lächerlich.

Herrscht denn noch keine Gleichberechtigung? Die kurdische Sprache ist doch schon lange nicht mehr verboten.

Natürlich kann man jetzt auf Kurdisch reden. Aber muss man sich dafür bedanken, dass man seine Muttersprache sprechen darf? Es gibt ein kurdisches Problem, aber die Türkei drückt sich davor, es anzupacken. Diese „Wir sind doch ein Volk“-Rhetorik bringt nichts. Die Kurden müssen ihre Rechte bekommen – ob es nun regionale Autonomie ist, eine Föderation oder gar Selbstständigkeit.

Im vergangenen Jahr sind Sie zum ersten Mal in ihrem Leben in der Türkei gewesen und haben dort mehrere Konzerte gegeben. Wie war das?

Das war wirklich wunderbar, sehr positiv. Ich hatte wirklich die Hoffnung, die Türkei würde das Problem jetzt endlich angehen, denn immerhin will sie ja in die EU. In der Stadt Batman bin ich vor 300.000 Menschen aufgetreten und habe auf Kurdisch gesungen, das erste Mal vor so einer großen Menge. Aber jetzt habe ich alle meine nächsten Konzerte abgesagt.

Wie konnte es zu diesem Rückschlag kommen? Muss auch von kurdischer Seite die Gewalt eingedämmt werden?

Natürlich. Nicht nur die Türkei, auch die Kurden müssen den Krieg einstellen. So geht es nicht weiter. Als ich in der Türkei war habe ich gesehen, dass die Leute den Krieg leid sind. Es sind die armen Menschen, die am meisten darunter leiden müssen. Es sind ihre Dörfer, die bombardiert werden. Die Kurden werden ihre Rechte nur erlangen, wenn sie sagen: Es ist Schluss mit dem Krieg. Wenn sie ihn weiter führen, dann werden sie verlieren.

Welchen Einfluss hat die kurdische Autonomie im Nordirak in der Region? Ist Sie gefährdet?

Ich bin zunächst einmal froh, dass es ein kurdisches Gebiet gibt, dass frei ist. Aber dieses Irakisch-Kurdistan ist sehr fragil. Die Türkei, Syrien, der Iran und auch die irakische Regierung wollen es zerstören. Als Kurde muss ich deshalb den Amerikanern und Engländern dankbar sein. Ohne sie würde Kurdistan sofort angegriffen. An den Grenzen steht das iranische und türkische Militär, mit Panzern und Flugzeugen und tausenden von Soldaten! Natürlich haben die Kurden Angst. Ich hoffe, die Amerikaner bleiben ewig in Kurdistan.

Was, denken Sie, wird die Zukunft den Kurden bringen?

Jeder Kurde ist doch mittlerweile ein Politiker geworden. Ich etwa bin Musiker, ich habe noch nie in meinem Leben mit irgendeiner politischen Partei zusammengearbeitet. Aber wir reden die ganze Zeit nur über Politik, nicht über Musik. So geht es mir immer, egal ob ich in Istanbul, Norwegen oder Schweden bin. Weil ich ein Kurde bin.

Aber ich denke, wir Kurden müssen uns grundlegend ändern. Früher haben wir auf den Kampf gesetzt. Aber heute müssen wir zu anderen Mitteln greifen: Wir müssen uns der Kultur bedienen. Wir müssen gute Filme, gute Musik, gutes Theater machen. Und zeigen, dass wir auch über Liebe und Sex reden können, nicht nur über Politik.

Ist das ein Grund dafür, dass Ihre letzten CDs eher unpolitisch gehalten sind?

Ich habe viel über Politik gesungen. Aber in den letzten Zeit habe ich lieber über Frauen und über die Liebe gesungen. Außerdem gab es dafür zum ersten Mal in meiner Laufbahn gutes Geld.

Sie leben jetzt die längste Zeit ihres Lebens in Europa. Fühlen Sie sich da nicht als Europäer?

Es gibt viel, das mir an der europäischen Kultur gefällt. Und es gibt auch manche Aspekte an der kurdischen Kultur, die ich grausam finde, etwa was die Unterdrückung der Frauen angeht. Aber ich war 19 Jahre alt, als ich nach Europa kam, und damit schon erwachsen. Deshalb würde ich sagen: Ich bin Kurde.

INTERVIEW: ZONYA DENGI