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EINHEIT Während Linksradikale heute gegen Nation, Kapital und die großen Feierlichkeiten demonstrieren, streitet die Linkspartei erstmals über ihr eigenes Verhältnis zur DDR

„Die Einheitsfeier ändert nichts an der alltäglichen Ohnmacht in den Mühlen von Staat und Kapital“

Aus dem Demoaufruf

VON JAN ZIER
UND KLAUS WOLSCHNER

„Staat. Nation. Kapital. Scheisse.“ Mit diesem ebenso eingängigen wie auch vagen Motto wird heute anlässlich der Einheitsfeierlichkeiten in Bremen zur Demonstration gegen die „nationale Würstchenmeile“ aufgerufen. Getragen wird der Protest von einem Bündnis aus antinationalen, kommunistischen und Antifa-Gruppen, die sich selbst als „linksradikal“ definieren.

Die Organisatoren erwarten rund 2.000 Demonstrierende unter anderem aus Köln, Berlin, Leipzig, Göttingen oder Frankfurt. Zugleich wehren sie sich gegen die „gewaltige Panikmache“ und „Vorverurteilung“. Mit Aufrufen zur Gewalt habe man „nichts zu tun“, sagten sie gestern auf einer Pressekonferenz. Und mit der Polizei, die am Wochenende die Straßen im Viertel räumen lässt, haben die Protestierenden nach eigenen Worten „entspannte“ Gespräche geführt.

In der Stadt kursieren Plakate, die von „Chaostagen“ sprechen und dazu aufrufen, die Einheitsfeier „zum Desaster“ zu machen. Der Präsident des niedersächsischen Verfassungsschutzes, Hans-Werner Wargel, beobachtet nach eigenen Worten „eine starke Mobilisierung gewaltbereiter Linksextremisten im Vorfeld der Einheitsfeier“: Im Internet werde unverhohlen zu Brandanschlägen und Sabotage aufgerufen.

„Dazu haben wir keine Verhältnis“ heißt es von Seiten der Demonstranten, die sich gegen die „Inszenierung Deutschlands als Erlebniswelt“, die „ideologische Identifikation mit der Nation“, aber auch gegen „Lohnarbeit, Staatenkonkurrenz, die kapitalistische Verwertungslogik“ und das „Gequatsche von der sozialen Marktwirtschaft“ richten.

Die Partei „Die Linke“ veröffentlicht zwar den Demonstrationsaufruf auf ihrer Internet-Seite, ruft aber selbst nicht dazu auf. Einige Mitglieder gehen hin, andere nicht, sagt ihr Vorstandssprecher Christoph Spehr. Intern hatte es im Vorfeld des 3. Oktobers eine heftige Debatte gegeben – zum ersten Mal in der Geschichte der Bremer Linkspartei wurde um die rechte Einstellung zur DDR gerungen. Die Linksfraktion hatte einen Antrag für die Bürgerschaft formuliert, der das Stichwort „Einheit“ konstruktiv aufgreift und die Verwirklichung der „sozialen Einheit“ fordert. Zum Thema Mauer wird da „das Recht zur Flucht vor Unfreiheit und Repression“ gefordert: „Die Erinnerung an die Mauer beinhaltet die Verpflichtung, auch heute Menschen zu unterstützen und aufzunehmen, die aus vielfältigen Gründen auf der Flucht sind“. So würde nur ein geringer Teil derjenigen, die „oft unter Lebensgefahr aus der DDR flohen“, nach den Maßstäben der heutigen europäischen Flüchtlingsregelungen nicht zurückgeschickt. In der Begründung steht der Satz, die anfängliche „Hoffnung auf eine Alternative zum demokratischen Kapitalismus“ sei zerstört worden, weil das SED-Regime sich zu einer „Diktatur“ entwickelte.

An diesem Text entzündete sich eine heftige Kritik – nicht nur, weil in der Linkspartei „die DKP- und DDR-Liebhaberinnen und -Liebhaber zu Dutzenden vorhanden sind“, wie es ein Mitglied formulierte. Einige sehen in dem Papier in erster Linie eine „vorauseilende Geschichtsglättung für eine zukünftige Regierungsbeteiligung“. Andere, wie der pensionierte Hochschullehrer Sönke Hundt stoßen sich an verwendeten Formulierungen: Was denn das sei, „demokratischer Kapitalismus“, fragt Hundt. Auch das Wort „Diktatur“ sei hier unpassend.

Die Kritik an der fehlenden Demokratie im Sozialismus habe schon Rosa Luxemburg formuliert, kontert Spehr. Er ist „ganz zufrieden“ mit der Debatte – und der Klarstellung, dass die DDR, so wie sie war, für die Linke „kein Modell für eine Alternative“ sei. In dem Flugblatt der Bremer Linkspartei zum 3. Oktober nimmt die Kritik am Kapitalismus indes sehr viel mehr Raum ein als die selbstkritische Beschäftigung mit der DDR.

Demo: 16.30 Uhr, Hauptbahnhof