Sternensucher aus alten Tagen

Streichen, Regenrinnen aufhängen, Teleskope restaurieren: Seit 1998 arbeitet der Förderverein Hamburger Sternwarte daran, das Gelände in Bergedorf zu sanieren. Dafür bekommt er jetzt den Deutschen Preis für Denkmalschutz

Der Förderverein Hamburger Sternwarte hat das in Deutschland einmalige Gelände aus seinem Dornröschenschlaf geweckt

VON SILKE BIGALKE

Das Gras auf dem Hügel ist hoch gewachsen. Wie verwunschen leuchten zwischen den Bäumen die großen, schneeweißen Kuppeln hervor. Kleine Wege schlängeln sich zwischen den verstreuten, hellen Gebäuden, die Anfang des letzten Jahrhunderts gebaut wurden. Säulen und geschwungene Ornamente verleihen den Bauten etwas Würdevolles. Unter ihren hohen, halbrunden Dächern schlummern die alten Teleskope – Sternensucher aus vergangenen Tagen. Als warteten sie darauf, dass endlich der Mond aufgeht.

Ein mächtiges Knarren stört plötzlich die Stille auf der Bergedorfer Sternwarte. Eines der meterhohen Kuppeldächer beginnt sich ächzend um die eigene Achse zu drehen. Die rostigen Gelenke des 13 Meter breiten Kolosses knacken bedrohlich. Wer sich in das Gebäude hinein wagt, kommt in einen kreisrunden Raum. Durch die Bullaugen-Fenster ringsherum fällt nur spärlich Licht. In der Mitte unter der Kuppel steht der „große Refraktor“ – ein neun Meter langes Teleskop. Direkt daneben steht Agnes Seemann, mit dem Hebel in der Hand. Sie legt ihn um, und prompt kommt die Kuppel wieder zum Stehen. Das Getöse ist vorbei. „Damit man oben durch das Objektiv schauen kann“, sagt die Kunsthistorikerin und reckt ihre Hand senkrecht in die Luft, „kann man den gesamten Fußboden viereinhalb Meter nach oben fahren.“

Fast werden ihre Worte durch neuen Lärm abgeschnitten. Diesmal ist es ein quietschender Ton. Doch der Boden bewegt sich nicht. Stattdessen fällt ein schmaler Sonnenstreifen über den Refraktor. Der Spalt im Kuppeldach öffnet sich und gibt die Sicht auf den Himmel frei. Ein frisches Lüftchen weht um das alte Teleskop.

Es war der Förderverein Hamburger Sternwarte, der das in Deutschland einmalige Gelände aus seinem Dornröschenschlaf geweckt hat. „Wir haben klein angefangen, Fensterrahmen gestrichen, Bewuchs entfernt und Regenrinnen aufgehängt“, erzählt Vorstandsmitglied Seemann. Seit 1998 arbeitet ihr Verein daran, die denkmalgeschützten Gebäude der Sternwarte in Stand zu setzen. Dafür wird dem Förderverein jetzt der Deutsche Preis für Denkmalschutz verliehen.

Das größte Projekt der rund zehn aktiven Mitglieder war bisher 2005 die Restaurierung des Äquatorials, des mit knapp 140 Jahren ältestens Fernrohrs auf der Sternwarte. 42.000 Euro hat es gekostet, das kleine Gebäude in seinen Originalzustand zu versetzen. Ein Großteil des Geldes kam von der Hamburger Stiftung Denkmalpflege. 19.000 Euro hat der Förderverein aufgebracht. Das Geld stammt von Veranstaltungen wie dem Lyrikfestival auf der Sternwarte oder den Beobachtungsnächten, in denen die Besucher selbst durch die Teleskope schauen dürfen. „Wir wollen das Gelände hier nicht nur erhalten, wir wollen es auch öffentlich machen“, sagt Seemann.

Auf dem Weg zu ihrem besonderen Schatz trifft sie auf drei Kollegen. Die winken schon von weitem: „Wir haben endlich den Schlüssel,“ ruft einer und läuft die drei Stufen zum Äquatorial hinauf. Das kleine Haus liegt versteckt weiter hinten im Park und wirkt gegen die große Kuppel des Refraktors unscheinbar. Es ist in einem Gelbton gestrichen, der Originalfarbe von früher. Das Teleskop in der Kuppel ist nur ein Drittel so lang wie der große Refraktor. Trotzdem muss der Astronom über eine Leiter auf den hohen, hölzernen Stuhl klettern, um durch die Linse sehen zu können. Auf Schienen, die kreisrund durch den Raum führen, kann er seinen Hochsitz mit dem Fernrohr drehen. „Das Besondere an Bergedorf ist, dass jedes Teleskop sein eigenes Gebäude hat“, sagt Seemann.

Für die Forschung taugen die alten Teleskope schon lange nicht mehr. Dennoch sitzt auf der Sternwarte das Institut für Astrophysik der Universität Hamburg, eines der weltweit führenden seiner Art. Hier wurde 1992 der hellste Stern entdeckt, den je ein Menschenauge gesehen hat. Er steht bis heute im Guinness Buch der Rekorde. Auch die ältesten Sterne der Milchstraße, 13 Milliarden Jahre alt, entdeckte ein Bergedorfer Institutsmitarbeiter – allerdings nicht von Bergedorf aus. „99 Prozent unserer Daten beziehen wird nicht von der Sternwarte hier, sondern aus Spanien, Chile oder über Satelliten direkt aus dem Weltraum“, erklärt Professor Dieter Reimers, der seit mehr als 20 Jahren in Hamburg lehrt. Das Institut könnte auch umziehen – zum Beispiel nach Bahrenfeld. Dort kooperiert es bereits mit dem Forschungszentrum DESY.

Doch Reimers möchte sich nicht von Bergedorf trennen, solange die Zukunft der historischen Anlage nicht gesichert ist. Er genießt sein Büro im alten, prächtigen Verwaltungsbau auf dem Hügel, umgeben von der Geschichte der Sternenforschung. Gleich nebenan hat er die historische Bibliothek mit Büchern aus dem 16. Jahrhundert. In einem der deckenhohen Regale steht ein Sternenglobus von 1873. Und auf dem Flur sind die Morseapparate ausgestellt, mit denen die Forscher damals den Seeleuten die exakte Zeit zum Hafen gemorst haben. Viele Gebäude warten hier schon lange auf notwendige, aber teure Restaurierungsarbeiten. Wenn sich die Universität als Träger zurückzieht, sehen sie einer unsicheren Zukunft entgegen. Und auch die Astronomiewerkstatt, in denen Schüler der Klassen 3 bis 13 zum Unterricht kommen, würde ohne die Wissenschaftler sterben.

„Ein Umzug des Instituts ist mittelfristig zwar denkbar. Vorher muss aber geklärt werden, wie die historische Sternwarte dann erhalten werden kann“, sagt auch Universitätssprecher Christian Hild. Zur Zeit bemühten sich die Uni, das Bezirksamt Bergedorf und die Kulturbehörde um eine Lösung.

Bezirksamtsleiter Christoph Krupp hatte bereits vor zwei Jahren einen runden Tisch zur Zukunft der Sternwarte ins Leben gerufen und vorgeschlagen, in Bergedorf einen Astronomiepark einzurichten. Auf der Sternwarte könnte es dann eine moderne, interaktive Wissenschaftsausstellung geben. Doch das Projekt würde elf Millionen Euro kosten. Bis ein Geldgeber gefunden ist, bleibt Krupp nur zu hoffen: „Es müssen nur gerade so viele Besucher zur Sternwarte kommen, dass ihr Erhalt gesichert ist. Noch ist sie leider ein verborgener Schatz.“ Was aus diesem Schatz wird, liegt in den Sternen.