Brüssel dreht am Rad

ENERGIEWENDE Die EU-Kommission will das EEG faktisch abschaffen. Die Ökosubventionen sind ihr zuwider. Die Energiewende droht zu scheitern

Das „Erneuerbare-Energien-Gesetz“ (EEG) ist der zentrale und erfolgreichste Baustein der deutschen Energiewende, der inzwischen von vielen Ländern kopiert wurde. Es garantiert etwa Betreibern von Windrädern und Solaranlagen eine feste Vergütung über 20 Jahre und die Abnahme des Stroms. Die EU-Kommission drängt inzwischen darauf, den grünen Strom auf dem Markt zu handeln und die Projekte auszuschreiben. Auch definiert sie trotz eines anderslautenden Urteils von 2004 die EEG-Zahlungen als staatliche Subventionen. Die vielen Ausnahmen von der EEG-Umlage für die Industrie gelten in Brüssel als Verzerrung des Wettbewerbs auf dem EU-Binnenmarkt. (bpo)

VON BERNHARD PÖTTER

Der Kommissar war zufrieden. „Wir haben über die Zukunft des EEG geredet“, berichtete EU-Wettbewerbskommissar José Almunia am Montag nach seinen Gesprächen mit Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD): „Es gibt viel zu diskutieren. Wir haben harte Arbeit vor uns.“

Das gilt vor allem für Gabriel und seine Beamten. Im Wirtschaftsministerium suchte man bis spät in die Nacht nach einem Ausweg aus der Klemme, in die Almunia die Deutschen mit deren eigenen Hilfe manövriert hat: nach Möglichkeiten, die Privilegien für die Industrie bei der Finanzierung der Energiewende zu beschneiden, ohne die Firmen zu überlasten, und mittelfristig die Subventionen für Ökostrom aus Wind und Sonne zu streichen, ohne die Energiewende abzuwürgen.

Der spanische Kommissar macht Druck: Zwar endet die Amtszeit der EU-Kommission im Frühjahr, aber bereits am 9. April müsse das neue Erneuerbare-Energie-Gesetz (EEG) verabschiedet werden. Und wehe, es gefällt der EU-Kommission nicht: „Dann wird es ein neues Verfahren gegen Deutschland geben“, so Almunia. Sein Drohpotenzial ist groß: Ohne Erlaubnis Brüssels darf Deutschland ab Januar 2015 der Industrie keine neuen Ausnahmen von der EEG-Umlage gewähren, die derzeit etwa 5 Milliarden Euro betragen. Mit einem Schlag wären Hunderte von Firmen und Tausende von Jobs in Gefahr.

„Uns läuft die Zeit weg“, sagt deshalb auch Gabriels Staatssekretär Rainer Baake. Auf der überfüllten Konferenz „Energiewende 2.0“ der Böll-Stiftung, wenige Tage vor Almunias Besuch, warnte er die versammelten Ökofans vor Illusionen. Die deutsche Förderung sei ein Erfolg gewesen, aber „jetzt brauchen wir einen Bruch mit dem EEG“: Die garantierten Fördersätze für neue Windräder oder Solarpaneele sind bald Vergangenheit, der Neubau von Anlagen soll begrenzt werden. Um die Kosten zu senken, will die Regierung vor allem die günstigsten Techniken fördern und auch Ausnahmen für Unternehmen streichen. Mittelfristig soll auch für Ökostrom das Gesetz von Angebot und Nachfrage gelten.

Genau das will Almunia. Über der deutschen Energiewende hat sich in Brüssel ein Sturm zusammengebraut: In der Krise vieler Unternehmen und mit Blick auf die billige Energie beim Konkurrenten USA gilt dem zuständigen Kommissar „Wettbewerb“ als Allheilmittel. Die Kommissare für Umwelt, Energie und Klima sehen diesen Kurs durchaus kritisch – wer in der Kommission sich durchsetzt, ist unklar. Doch die Zeichen stehen gegen den Ökostrom. Klimaschutz ist nur noch ein Randthema, viele Nachbarländer fürchten bei der schnellen deutschen Energiewende um ihre Stromsysteme und freuen sich, den ungeliebten Euro-Zuchtmeistern aus Berlin mal das Licht ausknipsen zu können. Die Lage ist absurd: Die Kommission entscheidet über die Energiepolitik der Mitgliedstaaten, obwohl der EU-Vertrag von Lissabon und die „Erneuerbare-Energien-Richtlinie“ die Kompetenzen für Energiepolitik und Ökoförderung explizit den EU-Staaten zuschreiben.

Almunia verriet in Berlin auch gleich seinen Trick: „Wir entscheiden nicht über Subventionen für Erneuerbare. Aber wenn diese Subventionen den Wettbewerb verzerren, schreiten wir ein.“ Er hat viele Trümpfe in der Hand: Deutschland ist erpressbar, weil es die Ausnahmen für seine Industrie seit 2009 so sehr ausgeweitet hat, dass diese Privilegien dem EU-Binnenmarkt widersprechen. Frankreich ist gelähmt, weil sein EEG Ende 2013 vom Europäischen Gerichtshof gekippt wurde. Und der deutsche Energiekommissar Günther Oettinger plädiert als Kritiker der Energiewende schon seit Langem für eine EU-weite Förderung von Ökostrom.

Die könnte schneller kommen, als manche denken. Denn der Europäische Gerichtshof bereitet ein Urteil vor, das nationale Ökostromregelungen verbieten könnte. In dem „Aland-Verfahren“ um die Einspeisung von finnischem Windstrom ins schwedische Netz hat der Generalanwalt bereits erklärt, nationale Ökostromregelungen widersprächen dem freien Warenverkehr im Binnenmarkt. Bestätigt das Gericht wie so häufig die Ansicht des Generalanwalts, müssen Subventionen für Ökostrom künftig EU-weit abgestimmt werden. Was so schön europäisch klingt, könnte schwerwiegende Folgen haben. Länder wie Polen, Tschechien oder Großbritannien, die sich auf Kohle- oder Atomkraft konzentrieren, werden Zielen für Erneuerbare nur zustimmen, wenn ihre Programme für „saubere Kohle“ oder neue Atomkraftwerke ebenfalls als Klimaschutzmaßnahmen finanziert werden. Claude Turmes, Energieexperte der Grünen im Europaparlament, fürchtet deshalb, dass es zu einem dreckigen Deal zwischen Berlin, Paris und London und einer „fossil-nuklearen Renationalisierung“ kommen könne: „Frankreich und England bekommen Geld für ihre Atomindustrie, die Deutschen dürfen einen Teil ihrer Industrie-Ausnahmen behalten.“

Für Turmes hängt alles davon ab, „wie sich die Bundesregierung aufstellt“. Merkel allerdings hat sich die Probleme mit Brüssel selbst eingebrockt. Schwarz-Gelb hat sich gegen die Rettung des europäischen Emissionshandels gewehrt, die EEG-Umlage steil ansteigen lassen und die Zahl der Ausnahmen für die Industrie erhöht. Betrieben wurde dieser Kurs vor allem vom FDP-geführten Wirtschaftsministerium – demselben Haus, in dem die Beamten nun Überstunden schieben, um von der deutschen Energiewende zu retten, was noch zu retten ist.